Carrosserie- und Fahrzeugbau

VW: Hat das 1-Literauto auch die Carrosserie der Zukunft?

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Die Carrosserie-Struktur im Vordergrund, im Hintergrund das komplette fahrfertige Fahrzeug mit seiner Aussenhaut.

 

 


Von Jürgen Klasing (Text und Fotos)

 

VW startet in diesem Jahr mit dem XL1 – dem Personenwagen der Zukunft. 250 Einheiten sollen ab 2013 gebaut werden. Eine beschlossene Sache ist auch, dass das so genannte 1-Literauto im deutschen Werk Osnabrück in manufakturähnlicher Art entsteht und dank seines Durchschnittsverbrauches von 0,9 Liter auf 100 Kilometer (CO2: 24 g/km) als das sparsamste Serienautomobil der Welt gilt. Zudem kann der Zweisitzer über eine Distanz von maximal 50 Kilometern rein elektrisch und somit lokal emissionsfrei gefahren werden.

 

Was aber bietet VWs Prestigeprojekt beim Thema moderner Carrosseriebau? Und kann das Auto überhaupt dereinst im Carrosserie-Fachbetrieb repariert werden? carwing-Mitarbeiter Jürgen Klasing ist diesen Fragen nachgegangen und erhielt viel Einblick in die Bauweise und die verwendeten Materialien des Zukunfts-Automobils von Volkswagen.

 

Das heutige Carrosseriekonzept des XL1 hatte zwei Prototypen als Vorläufer: Das 2002 vorgestellte 1-Literauto und der 2009 präsentierte VW L1, wo Fahrer und Beifahrer zugunsten einer optimaleren Fahrzeug-Aerodynamik noch hintereinander sassen. Jetzt können die beiden XL1-Passagiere längsseitig leicht versetzt nebeneinander Platz nehmen, zudem erleichtern Flügeltüren das Ein- und Aussteigen.

 

{phocagallery view=category|categoryid=81|displaydescription=1} Die Bauart der Carrosserie

Der VW XL ist knapp 3,89 Meter lang, 1,66 Meter breit und nur 1,15 Meter hoch (Lamborghini Gallardo: 1,18 Meter). Damit orientiert sich der Zweisitzer am Polo, der mit 1,46 Meter jedoch deutlich höher ausfiel.

 

Die Flügeltüren des XL1 sind an zwei Punkten befestigt – unten an den A-Säulen und am Dachrahmen knapp oberhalb der Windschutzscheibe. Sie schwenken nicht nur nach oben, sondern auch leicht nach vorn und ragen weit in das Dach hinein, was einen bequemen Ein- und Ausstieg ermöglicht.

Von oben betrachtet erinnert der XL1 an einen Delphin, wobei sich die Linien insbe- sondere im Heckbereich dem Strömungsverlauf optimal anpassen und so den Luft- widerstand verringern. In der Seitenansicht zeigt sich die Dachsilhouette mit einer bo- genförmigen Linienführung, die ab der A- Säule bis hin zum Heck verläuft. Um Luft- Verwirbelungen zu vermeiden, sind die hinteren Räder voll verkleidet. Mit kleinen Spoilern wird der Luftstrom zusätzlich vor und hinter den Rädern optimiert.

 

Klassische Aussenspiegel, die sich negativ auf die Aerodynamik auswirken, sucht man vergeblich. Sie werden durch kleine Kameras in den Flügeltüren ersetzt und zeigen auf Displays den seitlichen Raum. An der Frontpartie gibts keinen typischen Kühlergrill, sondern einen durchgängigen schwarzen Querstreifen mit LED-Doppelscheinwerfern. Die Luftzufuhr für die Kühlung von TDI-Motor, Batterie und Innenraum erfolgt über elektrisch geregelte Lamellen im unteren Bereich der Frontpartie.

 

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Unter der grossen Heckklappe verbergen sich die Antriebseinheit und der 100 Liter fassende Kofferraum. Die Heckpartie wird nach oben und seitlich von einem roten LED-Band eingerahmt, in das Rücklichter, Bremsleuchten, Rückfahrscheinwerfer und Nebelleuchten integriert sind.

Ein schwarzer Diffusor, der fast nahtlos in den vollständig geschlossenen Unterboden übergeht, unterstützt die sehr guten aerodynamischen Bedingungen.

Die Vorgabe «Leichtbau» wurde beim XL1 konsequenter umgesetzt als je zuvor an einem Fahrzeug. So besteht die Carrosserie (z.B. Monocoque, Aussenteile) mehrheitlich aus carbonfaserverstärktem Kunststoff (CFK).

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Die kraftflussgerechten Lagen der Kohlefasern werden mit einem Epoxid-Harzsystem im aRTM-Verfahren zu Bauteilen geformt. Dieser Materialmix ergibt einen extrem tragfähigen und leichten Verbundwerkstoff. 

Auch hinsichtlich des Gewichtes ist CFK der ideale Werkstoff für den XL1 – der Prototyp wiegt nur 795 Kilo. Davon entfallen 227 auf die Antriebseinheit, 153 aufs Fahrwerk, 80 auf die Innenausstattung inklusive Schalensitze und 105 Kilo auf die Elektrik.

230 Kilos wiegt die CFK-Carrosserie.

{phocagallery view=category|categoryid=84|displaydescription=1} Dazu zählen die beiden Flügeltüren, die Windschutzscheibe in Dünnglas-Technik sowie das aus der Formel 1 bekannte Monocoque, das aus Sicherheitsgründen nach oben hin geschlossen ist. Die gesamte Carrosserie-Struktur – bestehend aus Monocoque, Vorderbau und Heckstruktur in Aluminiumbauweise – bringt 109, das im aRTM- und Prepreg-Verfahren gefertigte CFK-Monocoque 88 Kilo auf die Waage. Längs- und Querträger (Aluminium) sind 21 Kilo leicht.

Die Carrosserie-Aussenhaut besteht aus Flügeltüren, Front- und Heckklappe. Alle Teile sind aus einem CFK-Prepreg-Gelegeaufbau (1,2 mm) gefertigt und werden im 3-Schichtverfahren lackiert.

Die Heckklappe und die verschraubte Fronthaube sind doppelschalig ausgeführt, um die erforderliche Steifigkeit zu erzielen.

 

Die Schwenktüren haben eine CFK-Struktur, eine CFK-Aussenhaut und einen Aufprallträger in den Innenseiten. Im Crashfall greift ein Fanghaken in den Schweller ein und erhöht dadurch die Insassensicherheit. Die Türscheiben werden aus plasmabeschichtetem Polycarbonat gefertigt. Um die Schwenktüren nach einem starken Crash öffnen zu können, werden die Trennschrauben an den Scharnieren gelöst. Dadurch ergibt sich der vorgeschriebene Notausstieg.

 

{phocagallery view=category|categoryid=85|displaydescription=1} Lastpfade und Crash-Massnahmen

Je nach Art eines Crashs werden die A- und B-Säulen, die Dachholme und die Schweller als Lastpfade genutzt, über die Aufprallenergie abgebaut wird. Zusätzliche Längs- und Querträger im Front- und Heckbereich ergänzen die passive Sicherheit.
Im Detail sind folgende Massnahmen in die Carrosserie-Struktur integriert,
um im Crashfall die eindringende Energie schnell und kontrolliert abzubauen: Beim Frontalcrash nehmen Crashtubes mit dem Alu-Querträger, die Radfangkralle (CFK) am Schweller und die Sandwichstruktur in der Spritzwand sowie im Boden (CFK/PMI- Schaum) die Energie auf. 

{phocagallery view=category|categoryid=86|displaydescription=1} Beim Seitencrash stehen der Alu-Aufprallträger in der Tür und die Fangkralle im Schweller für die Energieableitung bereit. Dem Pfahlcrash (seitlicher Aufprall) wird ein Crashelement (CFK) im Bodenbereich entgegengesetzt. Die Energie beim Heckcrash wird durch die Crashtubes (CFK) und den Alu-Querträger absorbiert. Die Sicherheit beim Überschlag (Rollover-Test) wird durch den im Monocoque integrierten Überrollschutz hergestellt.

 

Der Entwicklungs- und Fertigungsprozess im VW-Konzern geht einen beständigen Weg, um das leichte und sparsame Automobil der Zukunft auch in Grossserie produzieren zu können.

Zunächst allerdings müssen noch die Entwicklung einer automotive-spezifischen Carbonfaser, das energieeffiziente Produktionsverfahren und das geeignete Prüfverfahren der CFK-Struktur vorangetrieben werden. Auch ein striktes Reparaturkonzept mit Prüfsystemen für die Analyse von Beschädigungen steckt noch in den Kinderschuhen.

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