Carrosserie- und Fahrzeugbau

Serie: «Vorwärtskommen – Berufsleute mit Biss & Ziel»

 

Wer in der Carrosseriebranche vorwärtskommen will, hat allerbeste Chancen. Denn hier wird Aus- und Weiterbildung GROSS geschrieben, die Möglichkeiten sind umfassend – egal, ob man sich werkstattseitig nach oben orientieren möchte oder der Plan steht, später einmal einen Betrieb zu führen oder zu übernehmen. Wohin ihr eigener Weg bereits geführt hat oder wohin er noch weisen wird, das erzählen einige Interviewpartner in unserer Serie «Vorwärtskommen».

 

Heute: Linda Gysi (27), Seengen (AG), Verkaufsberaterin

Frau Gysi, Sie sind gelernte Carrosserielackiererin EFZ. Zufall oder lang gehegter Berufswunsch?
Linda Gysi: Eher Zufall. Eigentlich hatte ich keine Ahnung, was ich lernen möchte. Wir waren mit der Oberstufe an der Berufsausstellung in Lenzburg und mussten ein Interview an einem Stand führen. Damals hiess der Beruf noch «Autolackierer» – und somit war er die erste Anlaufstelle in der langen Reihe.

 

Also dachten Sie, gleich dort mal anzufangen?
Linda Gysi: Genauso war es. Zurück in der Schule, mussten wir einen Aufsatz darüber verfassen. Als ich mit dem Schreiben begonnen hatte und das Erlebte Revue passieren liess, fand ich das Ganze richtiggehend spannend – so spannend, dass ich mich um eine Schnupperwoche im Carrosseriewerk Birrfeld in Lupfig AG bemüht habe. Ende der Woche wurde mir gleich die Lehrstelle für den Sommer 2010 angeboten, die ich mit Freude annahm. Und so kam es, dass ich Autolackiererin beziehungsweise Carrosserielackiererin geworden bin, wie man heute sagt.

 

Was hat Sie am Autolackieren angesprochen? Technik, Handwerk, das Künstlerische oder Farben und Formen?
Linda Gysi: Lustigerweise bin ich gar nicht so farbig unterwegs. Auch in meinem Kleiderschrank hat sich alles sehr lange auf schwarz, weiss und grau reduziert. Und ehrlich: Auch Zeichnen gehört kaum zu meinen Stärken und ich bin leider auch nur wenig kreativ.

 

Sie liebäugelten schon zu jener Zeit mit einem späteren Bürojob?
Linda Gysi: Nein, das konnte ich mir damals noch nicht vorstellen. Ich wollte körperlich arbeiten, in Bewegung bleiben. In der Schnupperlehre gefielen mir die verschiedenen Arbeitsprozesse sehr gut – die Abwechslung, und die Tatsache, dass es ständig etwas zu tun gab. Zudem faszinierte mich, dass die Anforderungen viel höher sind als einfach nur Autos lackieren. Die meisten Laien können sich gar nicht vorstellen, was ein Lackierer alles draufhaben muss. Ich hatte an jedem einzelnen Arbeitsschritt Freude, und da ich die Chance auf eine Lehrstelle erhielt, nutzte ich sie.

 

Stand irgendwie auch das Automobil im Vordergrund der Entscheidung?
Linda Gysi: Mir gefallen schöne Autos, auf die Berufswahl hatten sie jedoch keinen Einfluss.

 

In Ihrem ehemaligen Lehrbetrieb arbeiten die Lackierer in den drei Hallen «Vorbereitung», «Abdecken und Lackieren» sowie «Finish». Wie war das für Sie?
Linda Gysi: Sehr abwechslungsreich. Ich finde diese Aufteilung auch heute noch toll. Man ist fünf bis zehn Tage am Stück in derselben Halle, erarbeitet sich schnell viel Kompetenz und Routine. Ich hatte wirklich eine sehr schöne Lehrzeit. Wir reparierten hauptsächlich Neuwagen von der Amag, teilweise auch Mietwagen. Allerdings hatten die meistens nur kleinere Schäden. Die Nachteile zeigten sich in den überbetrieblichen Kursen in Ebikon und an der Lehrabschlussprüfung – da war ich nicht so flink unterwegs wie die Kollegen und Kolleginnen, die es gewohnt waren, auch grössere Schäden zu bearbeiten. Dafür war ich in «Spot-Repair» fast unschlagbar.

 

Wussten Sie damals, dass Sie in irgendeiner Form der Lackierbranche erhalten bleiben?
Linda Gysi: Nein, gar nicht. Wohin es beruflich führen würde, war nicht klar – und auch nicht im Detail geplant. Allerdings blieb der Wunsch, unabhängig zu sein. Dafür wollte ich alles geben.

 

Nach der Lehre 2014 haben Sie einen einjährigen Lehrgang fürs Handelsdiplom am Berufs- und Weiterbildungszentrum Zofingen absolviert. Warum?
Linda Gysi: Ich wollte eine kaufmännische Weiterbildung haben. Und weil mein Vater die Handelsschule besucht hat, wusste ich einiges darüber. Da war mein Entschluss schnell gefasst.

 

Innerhalb dieses Lehrgangs gabs das Praktikum im Bereich «Finanzen und Verkauf». War damals klar, dass der Verkauf Ihre berufliche Heimat werden soll?
Linda Gysi: Nein, das war eher Zufall. Nach einem Gespräch mit meinem Bruder kam er zwei Wochen später auf mich zu und eröffnete mir, dass er seinen Chef kontaktiert habe und ich bei ihm einen Arbeitstag zur Probe in der Administration absolvieren könne. Sie hatten eine Praktikumsstelle zu vergeben. Ich war etwas irritiert, wollte aber meinen Bruder nicht vor den Kopf stossen. Immerhin hatte er extra seinen Chef angefragt. Also meldete ich mich kurzerhand für einen Probearbeitstag an. Und der hat mir so gut gefallen, dass ich mich für einen Wechsel in die Administration entschieden habe. Daraus entwickelte sich eine gute Zusammenarbeit mit dem Verkaufsleiter – und ich durfte ganz in die Verkaufsabteilung wechseln.


Im Anschluss haben Sie sich im Bereich Marketing und Verkauf an der Wirtschaftsschule KV Baden weitergebildet. War das eine weitere Etappe fürs berufliche Endziel?
Linda Gysi: Also ein konkretes «Endziel» hatte ich eigentlich nie. Ich war damals eher eine Suchende.

 

Was Sie sogar dazu veranlasst hat, sich bei der Kantonspolizei zu bewerben.
Linda Gysi: Das stimmt. Nach dem Auswahlverfahren bin ich am Schluss aber nicht unter die letzten elf «Finalisten» gekommen.

 

Die Freude am Verkauf haben Sie dennoch nicht verloren?
Linda Gysi: Nie. Nach einem Rückschlag den Kopf in den Sand stecken – das bin nicht ich. Und ich war ja nach wie vor in der Verkaufsabteilung tätig und unterstützte den Key Account Manager und den Verkaufsleiter. Ich wollte das Ganze ins Positive umwandeln und hab mich deshalb umgehend für die Weiterbildung «Sachbearbeiter Marketing & Verkauf» angemeldet.

 

Dort trafen Sie zwei Schulfreundinnen, die sich für den weiterführenden Lehrgang «Verkaufsfachfrau mit eidgenössischem Fachausweis» entschieden haben. Liessen Sie sich von der Euphorie anstecken?
Linda Gysi: Zum Anfang nicht. Ich habe mich dann aber informiert und sprach meinen Vorgesetzten darauf an. Er fand die Idee super, wollte mich auch im Verkauf fördern. Die Freundinnen hatten sich bereits angemeldet – also dachte ich, ich schliesse mich an und wir ziehen das zu dritt durch. Diese Schulung öffnet langfristig viele Türen. Aber man muss sich Zeit nehmen und die Möglichkeit haben, praktische Erfahrungen zu sammeln. Das ist das A und O im Verkauf.

 

Wie haben Sie diesen Lehrgang erlebt? War er streng?
Linda Gysi: Für mich schon sehr. Ich ging jeweils am Montag und Mittwoch nach der Arbeit von 17.50 bis 21.50 Uhr zum Unterricht. Zusätzlich war viel von zuhause aus zu erledigen. Diesen Aufwand war ich nicht gewohnt. Hätte ich das im Vorfeld gewusst, hätte ich vermutlich gekniffen oder das wöchentliche Arbeitspensum reduziert. Heute bin ich aber sehr stolz auf das Erreichte.

 

Welche Fächer stehen schulisch im Vordergrund?
Linda Gysi: Der Lehrgang ist in drei Teile aufgeteilt. Den ersten durften wir auslassen, da der Titel «Sachbearbeiter» – früher «MarKom» – angerechnet wird. Im zweiten werden Verkaufs- und Marketingfachleute gemeinsam unterrichtet – zum Beispiel in den Fächern Rechnungswesen, Statistik, Projekt- und Selbstmanagement, Marketing, Rechtskunde oder Markforschung. Im dritten Semester werden die Klassen nach Fachrichtungen aufgeteilt. Wir vom «Verkauf» hatten unter anderem Themen wie Verkaufsförderung oder auch Verkaufsplanung.

 

Werten Sie den Lehrgang als absolutes Muss für den beruflichen Weg, den Sie eingeschlagen haben?
Linda Gysi: Nein, das denke ich nicht. Aber man bekommt sehr viel theoretisches Wissen vermittelt, über das ich heute oftmals sehr froh bin. Vor allem, wenn man neu im Aussendienst startet, hilft es enorm.

 

Aktuell sind Sie bei der André Koch AG als Verkaufsberaterin angestellt. Was beinhaltet diese Tätigkeit?
Linda Gysi: Ich betreue einen Teil unserer Systemkunden in der Zentralschweiz und im Aargau. Ich besuche sie in regelmässigen Abständen, mache Besprechungen, informiere über Neuheiten oder prüfe, ob die Geräte auf aktuellem Stand sind. Gegebenenfalls bearbeite ich Bestellungen. Wichtig ist, dass wir die Anliegen unserer Kunden nicht nur aufnehmen, sondern uns auch darum kümmern. Das können Produkteanfragen sein, technische Unterstützungen oder Themen, die den Besuchten persönlich betreffen. Natürlich sollen auch Neukunden akquiriert werden. Da wir eine sehr dynamische Unternehmung sind, haben wir regelmässig Meetings und werden geschult oder tauschen uns untereinander aus.

 

Inwiefern kommt diese Tätigkeit Ihren Vorlieben entgegen?
Linda Gysi: Ich liebe den Kontakt mit Menschen. Zudem helfe ich gerne und mag es, Gutes zu tun. Deshalb denke ich, dass ich im Verkauf am richtigen Ort bin. Und ich arbeite sehr gerne am Computer. Sie sehen: Ich geniesse eine ideale Kombination.

 

Auf einer Skala von 1 (voll easy Job) bis 10 (Freizeit, was ist das?) – wie familienfreundlich ist Ihr beruflicher Alltag?
Linda Gysi: Ich würde eine 3 geben. Ich darf meine Zeit selbst einteilen, da sind wir sehr flexibel.

 

Was viel Eigenverantwortung und Vertrauen seitens des Arbeitgebers erfordert?
Linda Gysi: Ja genau. Aber auch Eigeninitiative. Ich habe mein Geschäftshandy in den Ferien dabei, versuche wichtige Nachrichten oder Anrufe zu beantworten. Das ist für viele ein «No Go», für mich selbstverständlich. Ich sehe das nicht als Eingriff in die Freizeit, es ist ja mein Entscheid.

 

Mit einer 3 haben Sie nach wie vor genügend Zeit, mit Gina, Ihrer Rhodesian Ridgeback Hündin, lange Touren zu unternehmen oder in den Bergen zu wandern.
Linda Gysi: Definitiv. Und obendrein spazieren wir jeden Tag total bis zu zwei Stunden vor und nach der Arbeit – das gibt Bewegung und ist super zum Abschalten. Früher waren wir noch gemeinsam aktiv in der Hundeschule und im Agility. Mittlerweile ist Gina neun, nimmt deshalb alles etwas gemütlicher. Ich kann mir ein Leben ohne Hund gar nicht mehr vorstellen.

 

Sie sind aber auch eine sportbegeisterte Reiterin.
Linda Gysi: Das war ich, schon von klein auf. Heute leider nicht mehr. Weil mehrmals Pferde verkauft worden sind, die ich sehr mochte, habe ich es aufgegeben. Und ein Tier gekauft, das mir niemand mehr wegnehmen kann – eben einen Hund.

 

Gehen Sie immer noch regelmässig ins Fitness?
Linda Gysi: Ja klar. Oder ich trainiere zuhause auf meinen Geräten. Mir ist wichtig, mich in meinem Körper wohlzufühlen. Und dafür bin ich bereit, zu arbeiten. Nicht verbissen – aber so, dass Ausgeglichenheit und Körpergefühl stimmen.

 

Kommen wir auf Ihren Beruf zurück. Was ist nebst Eigeninitiative wichtig?
Linda Gysi: Engagement. Man sollte bereit sein, wenn nötig mehr Zeit zu investieren. Es gibt Tage, da ist man erst um 19 Uhr oder noch viel später zuhause und muss dann noch CRM-Einträge schreiben oder ein Angebot vorbereiten. Diese Flexibilität muss man mitbringen. Auch Durchhaltewille ist gefragt, gerade an einem Tag, an dem man sich selbst nicht so gut fühlt. Wichtig ist die positive Einstellung und auch, überall und in jedem Fall offen zu sein. Man kann von allen etwas lernen.

 

Sie sind in Ihrem Job Einzelkämpferin. Macht das nicht manchmal einsam?
Linda Gysi: Tatsächlich ist man fast ausschliesslich alleine unterwegs, während man in anderen Berufen stets Arbeitskollegen um sich hat. Das darf man nicht unterschätzen. Für mich war das schwierig am Anfang, weil ich an meinem alten Arbeitsort täglich in einem tollen Team integriert war.

 

Obligatorische Schlussfrage: Wenn Sie einem Schulabgänger erklären müssten, warum er oder sie Carrosserielackierer EFZ werden soll, was würden Sie ihm oder ihr sagen?
Linda Gysi: Es ist ein sehr abwechslungsreicher Beruf, in dem jeder wachsen und sich weiterentwickeln kann. Sei es auf dem Beruf selbst oder in weiterführenden Tätigkeiten in der Branche. Auf jeden Fall ist es ein toller Start in die Berufswelt. Und ich finde, es zeichnet einen später aus, wenn man zuerst eine handwerkliche Lehre absolviert hat.

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