Carrosserie- und Fahrzeugbau

Serie: «Vorwärtskommen – Berufsleute mit Biss + Ziel»

 

Wer in der Carrosseriebranche vorwärtskommen will, hat allerbeste Chancen. Denn hier wird Aus- und Weiterbildung GROSS geschrieben, die Möglichkeiten sind umfassend – egal, ob man sich werkstattseitig nach oben orientieren möchte oder der Plan steht, später einmal einen Betrieb zu führen oder zu übernehmen. Wohin ihr eigener Weg bereits geführt hat oder wohin er noch weisen wird, das erzählen einige Interviewpartner in unserer Serie «Vorwärtskommen».

 

Heute: Patrick Olivier Balmer (46), Bevaix (NE), Inhaber und Geschäftsführer Carrosserie Spiez AG

Herr Balmer, in der Carrosseriebranche sind Sie als Fachmann und engagierter Berufsmann omnipräsent. Gibt es überhaupt jemanden, der Sie nicht kennt oder den Sie nicht kennen?
Patrick Balmer: Ich denke schon, dass es die gibt. Ich habe von verschiedenen Engagements profitieren können – zum Beispiel an Meisterschaften oder Schulungen für Lieferanten und Importeure. Einer der grössten Vorteile war es jeweils, viele Leute kennenzulernen. Aber das gilt immer: Ich treffe auch heute noch immer wieder neue und interessante Persönlichkeiten.

 

Inwieweit hilft Ihnen diese Popularität im Geschäftsalltag?
Patrick Balmer: Ein hoher Bekanntheitsgrad ist für ein Unternehmen natürlich immens wichtig. Das war am Anfang meiner Tätigkeiten nicht primär das Ziel, aber ich muss zugeben, dass heute ein Teil Marketing dahintersteckt. Aber nicht ausschliesslich, sonst würde das die Glaubwürdigkeit mindern.

 

Wir blenden ins Jahr 1994 zurück. Damals haben Sie die Lehre als Carrosseriespengler erfolgreich abgeschlossen und sich gleich anschliessend zum Carrosserielackierer ausbilden lassen. Das sieht nach einer von langer Hand geplanter Karriere aus.
Patrick Balmer: Der Berufsberater meinte, ich solle etwas Handwerkliches machen. Und zwar in einer Branche, in der ich auch verkaufen kann. Meine Eltern haben mir dann empfohlen, als Carrosseriespengler zu schnuppern. Das habe ich getan. Und es gefiel mir ausgezeichnet. Zudem ist Carrosseriespengler ein Beruf mit vielen Möglichkeiten, um sich selbständig zu machen.

 

War es immer Ihr Ziel, später eine eigene Firma zu haben?
Patrick Balmer: Ja, seit ich 16 bin. Dieser Plan hat mich immer begleitet. Deshalb war es auch relativ einfach, klare Ziele zu haben auf meinem Weg.

 

Warum die Lehre zum Carrosserielackierer?
Patrick Balmer: Das war eine logische Entscheidung. Quasi der erste Schritt, um in der Selbständigkeit Erfolg zu haben. Ich bin überzeugt, dass ein guter Chef verstehen muss, was in der Praxis um ihn herum passiert. Nur so kann er die Prozesse richtig gestalten. Darüber hinaus gewinnt jeder Chef den Respekt seiner Mitarbeiter, wenn er helfend einspringen kann.

 

Sind vor diesem Hintergrund auch die vielen Weiterbildungen zu sehen, die Sie besucht haben? Zum Beispiel fürs Dellendrücken, Scheibentönen, für Glas-, Aluminium- und Kunststoffreparaturen oder die Fahrzeugfolierung.
Patrick Balmer: Ja, aber nicht ausschliesslich. Ich suche immer wieder nach Nischen. Obwohl meine Firma mittlerweile etabliert ist, will ich Neues ausprobieren. Auf diesem Weg fühlt man sich neben dem Alltag immer wieder wie in einem Start-up. Manchmal landen Versuche im Sand, ein andermal öffnet sich eine Türe. Es gibt aber einen roten Faden in allen Dienstleistungen, die wir anbieten. Eines meiner Lieblingszitate von Henry Ford lautet deshalb: Wer immer tut, was er schon kann, bleibt immer das, was er schon ist.

 

Erfolg in der Selbständigkeit – diesem Ziel ordnen Sie viel unter. Zählt dazu auch, dass Sie die Berufs- und Meisterprüfung absolviert haben?
Patrick Balmer: Weiterbildung ist zentral – die Berufsprüfung zu haben, war deshalb immer klar für mich. Die Meisterprüfung wurde zu einem Bedürfnis, als ich bereits selbständig war. Es fehlte mir an Geschäftsführungskompetenzen wie Recht, Personalführung, Marketing, Buchhaltung und Betriebswirtschaft. Das wollte ich ändern.

 

2004 haben Sie den Schritt in die Selbständigkeit gewagt. Wie fing alles an?
Patrick Balmer: Ich mietete für 640 Franken pro Monat eine 180 Quadratmeter grosse Halle – ohne Heizung, Telefon und Toilette. Es war hart! Um Internetempfang zu haben und Emails versenden zu können, musste ich mitten ins Dorf fahren – im Renault Express, den ich für 300 Franken gekauft hatte. Wasser gab es einmal pro Woche – selbst «geerntet» aus dem Fluss Kander, der durchs Dorf fliesst. Als Toilette diente ein Farbkessel. Ich arbeitete 15 Stunden täglich, sechs Tage die Woche. Ohne die Unterstützung meiner Frau und meiner Eltern wäre dies alles nie möglich gewesen.

 

Der Standort in Spiez wurde 2008 errichtet. Waren Sie der Bauherr?
Patrick Balmer: Jawohl!

 

Warum Spiez? Wie sind Sie als Neuenburger an den Thunersee gekommen?
Patrick Balmer: Spiez ist die Kreuzung zum Berner Oberland, die Stadt liegt optimal in der Mitte zwischen Thun und Interlaken am Anfang des Kander- und Simmentals. Und es gab damals im nahen Umkreis nur ein einziges Carrosserieunternehmen. Aus Neuchâtel kam ich wegen meiner damaligen Freundin, geblieben bin ich wegen eines Jobs als Leiter der Carrosserieabteilung einer grossen Thuner Garage.

 

Heute sind Sie Eigentümer eines Unternehmens mit 20 Angestellten. Wieviel Zeit verbringen Sie im Büro und wieviel in der Werkstatt?
Patrick Balmer: Es kommt auf die Auslastung an. Haben wir viel Arbeit, bin ich der Springer in der Spenglerei oder Malerei. Alles in allem meine ich: Mit Folieren, Dellendücken und in der Funktion als Handwerker verbringe ich etwa zwanzig bis dreissig Prozent der Arbeitszeit in der Werkstatt. Der Rest ist Büroarbeit, da gebe ich Schulungen oder organisiere Sachen für die Meisterschaften oder den Gewerbeverband.

 

Spenglern oder Lackieren? Was tun Sie lieber?
Patrick Balmer: Das kann ich so nicht beantworten. Ich arbeite einfach sehr gerne.

 

Als Coach und Experte haben Sie vier Schweizermeister der Berufssparte Lackierer/in an die «World Skills» begleitet. Wie kamen Sie zu diesem sehr aufwändigen Engagement?
Patrick Balmer: 2010 übernahm ich das Präsidium der Arbeitsgruppe für die Berufsmeisterschaften. Es war für mich wichtig, beide «World Skills»-Experten im Boot zu haben, also den Lackierer und den Spengler. Der Gedanke war, sich auszutauschen und die Hintergründe der jeweiligen Berufe zu kennen. Weil der Platz als Experte bei den Lackierern frei war, habe ich mich beworben.

 

Zu Ihren vier Weltmeisterschaften zählen London im Jahre 2011, Leipzig 2013, São Paulo 2015 und Abu Dhabi 2017. Welche war die schönste?
Patrick Balmer: London war cool, Leipzig erfolgreich, São Paulo emotional und Abu Dhabi der perfekte Abschluss. Jede WM bewerte ich als einmalig, und persönlich sehr lehrreich. Ich bin extrem dankbar, mit all den jungen Berufsleuten so viel erlebt zu haben.


Gabs auch Enttäuschungen?
Patrick Balmer: Ich bin von keinem Erlebnis enttäuscht und habe keine negativen Gedanken. Klar gabs Resultate, von denen man sich ursprünglich mehr versprochen hat. Aber das waren keine Enttäuschungen, sondern Situationen, die mit der Zeit zu lehrreichen Erfahrungen geworden sind.

 

Nach Abu Dhabi 2019 haben Sie Ihren Rücktritt als Coach erklärt. Warum?
Patrick Balmer: Ich hatte viel um die Ohren. Soviel, dass es zur Belastung wurde. Und ich wollte aufhören, bevor die Freude verloren ging. Hinzu kam, dass sich Pascal Lehmann für den Job interessierte. Irgendwann kommt für jeden die Zeit, Platz zu machen. Ich denke, ich habe den richtigen Zeitpunkt für die Übergabe gewählt – auch weil meine drei Kinder es empfunden haben, dass ich viel weg war.

 

Den Job als «Chefexperte Lackierer» an den Schweizermeisterschaften, den Sie seit 2012 innehaben, behielten Sie. Warum?
Patrick Balmer: Der Nachwuchs ist das wichtigste Gut für unsere Zukunft. Wenn ich zurückschaue, sehe ich, dass wir vielen jungen Berufsleuten sehr positive Signale gegeben haben mit den Meisterschaften. Das ist unbezahlbar. Ohne überheblich zu sein denke ich aber, dass es künftig schwierig sein wird, jemanden zu finden, der so viel Zeit dafür aufwenden kann und will wie ich das tue. Aber ich meine, mit dem Champions-Club haben wir ausgezeichnete Fachleute, die hervorragende Nachfolger sein können.

 

Was möchten Sie beruflich noch erreichen?
Patrick Balmer: Ein Werkzeug erfinden, noch mehr Nutzfahrzeuge reparieren, die Qualität meiner Arbeit hochhalten und zum Team Sorge tragen. Zudem möchte ich einmal einen Nachfolger im Betrieb haben. Aber grundsätzlich geniesse ich den Spass am Arbeiten und an der Vielseitigkeit, welche meine Stelle bietet. Viel ändern möchte ich momentan nicht.

 

Wir kommen zur obligatorischen Schlussfrage: Wenn Sie Schulabgängern erklären müssten, warum er oder sie einen Beruf in der Carrosseriebranche als Lackierer oder Spengler wählen soll – was würden Sie sagen?
Patrick Balmer: Ich kenne keine vergleichbare Arbeit, die so vielseitig ist und ähnlich viele unterschiedliche Materialien und Techniken beinhaltet wie unsere. Und dies an einem hochmodernen und immer aktuellen Produkt, das von Designern gezeichnet wurde und obendrein Sicherheit, Komfort und Spass generiert. Carrosseriespengler und Carrosserielackierer haben Kontakte mit Kunden und erhalten von ihnen die Chance, nach einem Unfall zu helfen. Das gilt für beide Berufe – die schönsten, die es gibt.

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