Carrosserie- und Fahrzeugbau

Serie: «Vorwärtskommen – Berufsleute mit Biss & Ziel»

 

Wer in der Carrosseriebranche vorwärtskommen will, hat allerbeste Chancen. Denn hier wird Aus- und Weiterbildung GROSS geschrieben, die Möglichkeiten sind umfassend – egal, ob man sich werkstattseitig nach oben orientieren möchte oder der Plan steht, später einmal einen Betrieb zu führen oder zu übernehmen. Wohin ihr eigener Weg bereits geführt hat oder wohin er noch weisen wird, das erzählen einige Interviewpartner in unserer Serie «Vorwärtskommen».

 

Heute: Pascal Lehmann (28), Zofingen (AG), Leiter Lackierung Industrie & Nutzfahrzeuge, Calag AG


Herr Lehmann, bei Ihnen erhält der Begriff «Hoch hinaus» seine ursprüngliche Bedeutung zurück. Wie mir meine Gewährsleute zugetragen haben, sind Sie momentan daran, sich das Privatpiloten-Brevet zu erarbeiten.
Pascal Lehmann (lacht): Das ist jetzt mal eine spannende Einstiegsfrage. Mit der habe ich wirklich nicht gerechnet.

 

Aber sie trifft den Nagel voll auf den Kopf . . .
Pascal Lehmann: . . . nein, nicht ganz. Es ist ein Traum von mir, durch die Lüfte zu gleiten. Und ich werde ihn mir erfüllen. Aber mit der Ausbildung als solches habe ich bislang noch nicht starten können.

 

Wann hatten Sie erstmals den Gedanken, fliegen zu können?
Pascal Lehmann: Den habe ich, wie wohl viele andere auch, schon als Bub mit mir herumgetragen. Es fasziniert mich, die Freiheit in der Luft und die Welt aus einer ganz anderen Perspektive zu erleben. Dass ich die Fliegerei definitiv durchziehen werde, war definitiv klar, als ich den ersten Fallschirm-Tandemsprung gemacht habe.

 

Zu diesem Thema will ich gleich kommen. Sie sind lizenzierter Fallschirmspringer – ein Hobby, das Sie zusammen mit Canyoning-Touren ebenfalls fasziniert.
Pascal Lehmann: Der Auslöser dazu war ein Sprachaufenthalt 2017 in Neuseeland. Da habe ich als erstes meine Höhenangst überwinden können und dann all das Grossartige, was diese Hobbies bieten, erleben dürfen. Auf die erste Canyoning-Tour folgte der Tandemabsprung aus 5000 Metern. Die Eindrücke haben mich nicht mehr losgelassen. Fallschirmspringen und Canyoning haben eines gemeinsam: Man wird sich bewusst, wie klein man selber ist und wie gewaltig schön die Natur sein kann – egal, ob man sich in einer eingeschnittenen Schlucht vorwärtsbewegt oder aus einem Flugzeug springt. Beides bietet den absoluten Szenenwechsel im Alltag.

 

Sie sind ein Adrenalin-Junkie?
Pascal Lehmann: Ich muss zugeben, ich mag den Nervenkitzel.

 

Bleiben wir kurz beim «Hoch hinaus». Sie sind gelernter Carrosserielackierer, haben 2012 die Regional- und Schweizermeisterschaft gewonnen, und ein Jahr später sind Sie in Leipzig Weltmeister geworden. War das von Lehrbeginn weg ein minutiös vorbereiterer beruflicher Masterplan?
Pascal Lehmann: Ich habe zu Beginn der Lehrzeit erfahren, dass es eine Berufsweltmeisterschaft gibt. Die war damals in Japan, ein Mitarbeiter hat davon geschwärmt. Ich stellte mir vor, wie spannend es sein muss, sich mit den Besten der Welt im gleichen Alter zu messen. Insgeheim dürfte sich das Ziel, die «World Skills» zu erreichen, zu dieser Zeit in meinem Kopf festgesetzt haben.

 

Sie hatten schon damals den Anspruch an sich selbst, eine angefangene Sache auf jeden Fall möglichst perfekt zu beenden?
Pascal Lehmann: Das ist tatsächlich sehr wichtig für mich. Ich wollte immer stolz sein auf das, was ich leiste. In Bezug auf die Meisterschaften hat sich dann eines ums andere ergeben. Und als die Chancen zum Weiterkommen immer grösser wurden, war das eine wichtige Triebfeder.

 

Sie sind nach Clint Kaufmann im Jahr 2001 und José João Gonçalves 2005 der dritte Lackierer aus der Schweiz mit WM-Titel. Was bedeutet die Goldmedaille Ihnen heute noch?
Pascal Lehmann: Die WM hat mich fürs Leben geprägt und unglaublich viel gebracht in sehr kurzer Zeit. Ich durfte viele Kontakte in der Branche knüpfen, mich technisch auf ein Topniveau steigern und viel über mich selbst lernen. Daher bin ich diesem Lebensabschnitt sehr dankbar. Aber ich will mich nicht darauf ausruhen, sondern immer weiter vorwärtsgehen.

 

Sie kennen die jungen Lackiererinnen und Lackierer so gut wie kaum ein anderer. Unter anderem, weil Sie seit 2015 Experte an den Schweizermeisterschaften sind. Ist Ihr Nachfolger als Weltmeister schon in Sicht?
Pascal Lehmann: Ich wünsche mir das so sehr. Jedes Mal, wenn die Meisterschaften bevorstehen, kribbelt es im Bauch. Es ist genial, die engagierten Berufsleute bei ihren Bestleistungen zu erleben und mitzufiebern. Wir haben tatsächlich viele Talente. Andere Länder schlafen aber nicht, international betrachtet hat das Niveau angezogen und die Spitze rückt sehr nah zusammen. Aber ich bin mir sicher, dass wir in dieser Liga vorne mitspielen.

 

Sie engagieren sich stark für den beruflichen Nachwuchs, haben einen Kurs für Berufsbildner in Lehrbetrieben besucht und sind seit 2019 Experte und Coach an den Weltmeisterschaften. Warum liegt Ihnen die Ausbildung von jungen Berufsleuten so am Herzen?
Pascal Lehmann: Was mich während der Zeit mit Aurélie Fawer (Anm. der Red.: P. Lehmann war ihr WM-Coach) so beeindruckt hat, ist die krasse Entwicklung eines jungen Berufsmannes oder einer Berufsfrau. Das hautnah mitzuerleben, ist einfach genial. In den ersten Trainings beginnt man mit den Basics, und nur wenige Monate später diskutiert man zusammen auf einem ganz anderen Niveau. Ich bewege mich sehr gerne in diesem Umfeld der Entwicklung, Entdeckung und des Ehrgeizes. Und dasselbe gilt natürlich für die Ausbildung von Lernenden. Man hat die Gelegenheit, jemanden wirklich weiterzubringen und zu fördern.

 

Der Zeitaufwand ist sicherlich beträchtlich. Müssen Sie dafür Ferien hergeben?
Pascal Lehmann: Mein Arbeitgeber ist da zum Glück sehr nachsichtig. Das ist nicht selbstverständlich. Allerdings fallen viele der Aufgaben in die Freizeit – das sehe ich als Hobby. Ansonsten wäre es nicht machbar.

 

Seit 2018 sind Sie auch noch Obmann und Chefexperte an den Lehrabschlussprüfungen von «carrosserie suisse aargau».
Pascal Lehmann: Der Vorgänger hat mich aufs Amt angesprochen. Es passt ins Gesamtbild mit den Meisterschaften und der Ausbildung von Lernenden, deshalb sagte ich zu. Zudem schätze ich den Kontakt zu den Prüfungsexperten und -expertinnen. Der zeitliche Aufwand hält sich einigermassen in Grenzen – ausser während den Prüfungszeiten, da wird alles sehr anspruchsvoll.

 

Obendrein sind Sie Präsident vom Champions-Club. Welche Ziele hat der Club?
Pascal Lehmann: Er verfolgt zwei Richtungen: Einerseits möchten wir allen ehemaligen Meisterschafts-Teilnehmenden aus der Carrosseriebranche und dem Fahrzeugbau eine Plattform bieten, um sich weiterhin engagieren zu können und das Netzwerk zu pflegen. Gegen aussen soll der Club einen Nutzen bringen in Form von Unterstützung an Berufsmessen – zum Beispiel mit Referaten oder Motivationsreden. Gleichzeitig bieten wir Trainings für angehende Meisterschaftskandidaten, Unterstützung an Events für Lernende und vieles mehr. Um ganze Anlässe auf die Beine zu stellen oder auch für Manpower-Einsätze bei Aufstell- und Abräumaktionen an Messen sind wir aber zu klein. Gerne werden wir gezielt eingesetzt, wo wir im Sinne der Berufsbildung und den Meisterschaften Gutes tun können.


Wie wird der Club Ihrer Meinung nach von aussen wahrgenommen?
Pascal Lehmann: Während den Vorbereitungen zu den Regionalmeisterschaften haben wir sicherlich dazu beitragen, dass die Kandidatinnen und Kandidaten schweizweit und in allen Landessprachen ein einheitliches und gutes Training erhielten. Ich denke, das wird gewürdigt. Auch werden wir oft angefragt, ob wir an Bildungsmessen oder Berufsfachschulen Referate und «Lernenden-Gewinnungsaktionen» abhalten. Da versuchen wir immer, den Bedarf zu decken – und ich glaube, die Veranstalter nehmen das dankbar zur Kenntnis. Leider sind wir über alle Gebiete der Schweiz gesehen noch nicht so stark aufgestellt wie wir das gerne hätten. Ich wünsche mir, dass viele der diesjährigen Meisterschaftsteilnehmenden von unseren Tätigkeiten überzeugt sind und viele neue Mitglieder hinzukommen.

 

Sie sind Gründungsmitglied vom Champions-Club. Wie kam das zustande?
Pascal Lehmann: Die Idee stammt von Patrick Balmer, meinem ehemaligen Coach und Vorgänger als «World Skills»-Experte. Zusammen mit Angelo Miraglia hatte er damals die Idee vorangetrieben und uns zusammengebracht. Mit Unterstützung aus dem Verband haben wir dann langsam wachsen und uns organisieren können. Wir pflegen einen sehr engen und guten Austausch zum Verband – das ist richtig und wichtig.

 

Viele sagen, der Pascal Lehmann ist der geborene Carrosserielackierer. Das ist seine Bestimmung. Sehen Sie das auch so?
Pascal Lehmann: Nicht unbedingt. Es gibt viele Dinge im Leben, die mich interessieren. Aber zum Glück kann ich gut mit der Lackierpistole umgehen.

 

Wären Sie zum Beispiel auch als Koch so fokussiert und engagiert?
Pascal Lehmann: Das ist eine Einstellungssache. Ich stelle mir vor, dass ich in einem anderen Beruf genauso viel Spass und Ehrgeiz hätte entwickeln können. Die Arbeit des Lackierers ist aber einfach genial – das rede ich nicht einfach so daher. Jedes Mal, wenn ich die Gelegenheit nutzen kann, in der Spritzkabine zu lackieren, komme ich aus dem Flow nicht mehr raus. Es macht einfach Laune.

 

Stand Carrosserielackierer immer ganz oben auf Ihrer Berufswahlliste?
Pascal Lehmann: Nein, eigentlich nicht. Ich hätte bereits einen Lehrvertrag als Hochbauzeichner in der Tasche gehabt. Glücklicherweise ging ich dann aber nochmals Schnuppern, habe den Beruf des Carrosserielackierers erst entdeckt. Dies ist meinem Vater zu verdanken: Er ist Carrosseriespengler und hat den entscheidenden Wink gegeben.

 

Von 2014 an haben Sie einen Marathon an Weiterbildungen hingelegt und abgeschlossen – zum Beispiel die Lehrgänge zum Werkstattkoordinator, Carrosseriefachmann oder auch Carrosserie-Werkstattleiter. Was war die Triebfeder?
Pascal Lehmann: Wer aufhört, besser zu werden, hat aufgehört, gut zu sein, hat mal jemand gesagt. Ich möchte mich weiterentwickeln und mich selbst fordern. Die Weiterbildung zum Carrosserie-Werkstattleiter ist für jeden eine Horizonterweiterung. Es gibt so viele Möglichkeiten in der Schweiz. Man muss sie nur packen.

 

Aktuell sind Sie «Leiter Lackierung Industrie & Nutzfahrzeuge» bei der Calag AG in Langenthal. Was gehört da zum Aufgabenkreis?
Pascal Lehmann: Ich bin verantwortlich für die Lackiererei mit 36 Angestellten. Zu den Aufgaben zählen die Führung und Weiterentwicklung der Abteilung, das Offert- und Rechnungswesen sowie die Akquise von Aufträgen. Ein sehr spannender Alltag, bei dem kein Tag gleich ist wie der andere.

 

Welche beruflichen Pläne haben Sie? Wohin wird ihr Weg noch führen?
Pascal Lehmann: Das wusste ich auch in der Vergangenheit nie so ganz genau. Mir ist grundsätzlich wichtig, dass die Arbeit Spass macht und man sich sinnvoll einbringen kann. All dies bietet die Aufgabe bei der Calag. Es freut mich aber auch, dass ich in naher Zukunft an der Berufs- und Weiterbildung Zofingen sowie bei der «Carrosserie Academy» in Bern für die Weiterbildung dozieren darf.

 

Obligatorische Schlussfrage: Wenn Sie einem Schulabgänger erklären müssten, warum er oder sie Carrosserielackierer EFZ werden soll, was würden Sie ihm oder ihr sagen?
Pascal Lehmann: Grundsätzlich muss der Beruf zur Person passen. Der zweite Punkt ist, einen Betrieb zu finden, in dem sich der Lernende wohl fühlt und wahrgenommen wird. Ob man am Ende Spengler, Lackierer oder Fahrzeugschlosser lernt, spielt keine Rolle – Hauptsache, es ist einer dieser drei Berufe. Nein, im ernst: Ich finde, dass man als Carrosserielackierer – oder auch als Industrielackierer – eine spannende Aufgabe erhält, die zum einen nicht einfach, aber sehr abwechslungsreich ist. Es gibt verschiedene Ausgangslagen, Fahrzeugschäden, Untergründe, Lackmaterialien und Erfüllungszwecke, mit denen sich der Lackierer auseinandersetzen muss. Man wird zum Improvisationstalent, kann mit den eigenen Händen etwas in schönstem Glanz erstrahlen lassen – etwa, was zuvor noch zerbeult, zerkratzt, verrostet oder ungeschützt war. Das ist faszinierend.

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