Carrosserie- und Fahrzeugbau

Carrosserie CH: Versammlung mit vielen Fragezeichen

 

Von Heinz Schneider (Text) und Irene Schneider (Fotos)

Es war eine denkwürdige Delegiertenversammlung in der «Schweizerischen Alpinen Mittelschule» in Davos (GR) – geprägt von einer sehr traurigen Todesnachricht und der aktuellen Situation rund um den Gesamtarbeitsvertrag (GAV), dem die Delegierten an ihrer ausserordentlichen Versammlung im November 2021 zugestimmt hatten. Auf den Entscheid des Staatsekretariates für Wirtschaft (SECO), ob, wie und wann der GAV mit der damit verbundenen Allgemeinverbindlichkeitserklärung (AVE) endlich eingeführt werden kann, warten nämlich auch Vorstand, Geschäftsführung und Mitglieder von «Carrosserie Suisse» noch immer. Doch davon später.

 

Eröffnet wurde die Versammlung, an der 67 von 84 Delegierte sowie rund fünfzig weitere Gäste anwesend waren, von Zentralpräsident Felix Wyss. Und der wählte in seiner kurzen Begrüssungsrede, wie gewohnt, die direkte Sprache – und kritisierte grüne und rote Politiker, die seiner Meinung nach für die katastrophale politische und wirtschaftliche Lage sowie die momentan herrschenden Missstände verantwortlich sind. Vor allem in Deutschland: «Geht es dort mit dieser Regierung weiter, richtet sich das Land selber zugrunde», ist Wyss überzeugt. Allerdings ist er sich sicher, dass die Situation im nördlichen Nachbarland auch diejenige der Schweiz widerspiegelt: «Was die Politik bei uns hinsichtlich Migration, Strassenverkehr und Energie anrichtet, ist ein Debakel», sagte er.

 

Geradezu schockierend war die darauffolgende Nachricht vom Tod von Reto Neff, der vor wenigen Tagen bei einer Velotour verstorben ist. Der 60-Jährige war «Leiter Fahrzeugexperten» bei «Helvetia Versicherungen Schweiz» und in der Carrosserie- und Lackierbranche hochgeschätzt und sehr beliebt. Ihm gedachten die Anwesenden mit einer Schweigeminute.

 

Für die Grussbotschaft war natürlich eine Persönlichkeit gefragt, die sich mit dem Landwassertal und seiner Umgebung auskennt. Und wer wäre da nicht besser geeignet gewesen als Tarzisius Caviezel (Standespräsident Kt. Graubünden), höchster Bündner und bis 2011 Präsident vom HC Davos? Der FDP-Politiker und alt Landamann von Davos («Ich bin so dreist, Sie in meinem Davos willkommen zu heissen!») machte natürlich in seiner charmanten Art ein bisschen Werbung für seine Heimat («Sie sind heute im schönsten Kanton der Welt!»), vergass aber auch nicht, wie Felix Wyss die aktuelle politische und wirtschaftliche Situation zu erwähnen. Dabei hob er vor allem die allgemein steigenden Kosten hervor, welche die Wettbewerbsfähigkeit massiv bedrohen.

 

Keine leichte Aufgabe kam danach auf Vizepräsident Marco Flückiger zu: Er schilderte die Situation rund um den Verband «Carrosserie Suisse» und den Gesamtarbeitsvertrag (GAV), der noch immer nicht vom «Seco» bewilligt worden ist. Schuld daran sind die Einsprachen einiger Nichtmitglieder-Betriebe und diejenige vom AGVS, bei denen es sich um die mit dem GAV verbundene Allgemeinverbindlichkeitserklärung (AVE) dreht. Die Folge davon: Wegen der Patt-Situation kann der Verband den Nichtmitgliedern aktuell keine Bildungsbeiträge erheben, womit eine finanzielle Einbusse von rund einer Million Franken entstanden ist.

 

«Eine nur schwer erträgliche Situation, die jene nichtorganisierten Unternehmen bevorteilt, die sich nicht an den GAV halten müssen», sagt der Tessiner Carrossier dazu. Da liegt er natürlich völlig richtig – genauso wie mit der Einschätzung, dass damit vieles blockiert ist und ein weiteres einvernehmliches Vorwärtsgehen im Verband verhindert werden könnte. Ein Delegierter, der namentlich nicht genannt werden will, glaubt sogar, dass momentan nicht nur das gute Einvernehmen mit den Westschweizer Sektionen, sondern auch das reibungslose Funktionieren eines nationalen Verbandes gefährdet ist. Wie also stehen die Chancen, dass sich das «Seco» in den kommenden Tagen im Sinne von «Carrosserie Suisse» entscheiden und GAV sowie AVE durchwinken wird? «Dazu wage ich keine Prognose», sagt Marco Flückiger.

 

Nicht viel zur Beruhigung oder Klärung der verzwickten Situation trägt das Statement von AGVS-Vizepräsident Manfred Wellauer bei, der vor Ort in Davos anwesend war. «Wir können keinen allgemein verbindlichen Gesamtarbeitsvertrag akzeptieren, in dem die unterschiedlichen Bedürfnisse von unseren Mischbetrieben (Anm. der Red.: Carrosserie- und Garagenbetriebe im AGVS) nicht berücksichtigt sind», sagte er.

 

Die logische Folge aus dieser konsequenten Haltung kann für den Carrosserieverband eigentlich nur sein, die AVE aus dem GAV auszuklammern und einen Fond zu gründen, um so den Bildungsauftrag der Mitglieder finanzieren und sich endlich auf einen gültigen Gesamtarbeitsvertrag stützen zu können. Denn der ist Garant dafür, dass die Arbeitnehmer und Arbeitgeber des Carrosserieverbandes unter rechtssicherheitlichen Bedingungen arbeiten und den Arbeitsfrieden aufrecht erhalten können. Denn jetzt muss es endlich vorwärts gehen, auch im Sinne aller Beteiligter, dem Vorstand und der Geschäftsleitung von «Carrosserie Suisse» sowie der Geschäftsstelle in Zofingen, die sich seit Wochen mit Volldampf fast nur noch um diese eine Sache kümmern.

 

Denn die aktuelle Situation hat bereits sehr viel zerstört: Davon zeugte der Bericht von Thomas Oswald, Leiter Finanz- und Rechnungswesen bei «Carrosserie Suisse». Wie er in Davos ausführt, resultiert in der Jahresrechnung 2022 – infolge der genannten verrückten Situation – ein Verlust von über 280 000 Franken. Klar, dass es unter den gegebenen Umständen (die fehlenden Bildungsbeiträge aus der AVE von Januar bis Juni 2023 belaufen sich auf 313 000 Franken) schwierig ist, ein verbindliches Budget für 2023 zu erstellen.

 

Eines von vier Szenarien sieht vor, dass mit einem Verlust von 26 565 Franken gerechnet werden muss (was die Delegierten in der Abstimmung auch gutgeheissen haben). Bedingung dafür ist, dass die bislang fehlenden Bildungseinnahmen ab Juli 2023 fliessen. Ist dies nicht der Fall, drohen verschiedene Sparmassnahmen – zum Beispiel die Sistierung diverser Marketingprojekte oder die Streichung von Arbeitspensen auf der Geschäftsstelle in Zofingen. Bereits beschlossen ist – neben einem Einstellungsstopp – die Streichung vom Partneranlass am Branchenevent im kommenden Herbst in Bern.

 

Schuldig sind wir noch die Resultate der verschiedenen Abstimmungen. Um es vorwegzunehmen: Es herrschte Einigkeit. Sowohl bei der Wahl der bisherigen Geschäftsleitung (drei Enthaltungen) für die kommenden vier Jahre als auch den anderen Traktanden. Was sonst noch so alles los war (Ehrungen, Verabschiedung etc.), entnehmen Sie bitte unserer Fotogalerie.

Neuste Artikel: Carrosserie- und Fahrzeugbau