Carrosserie- und Fahrzeugbau

Ford B-Max: Er hat alles, nur keine B-Säulen

ford b max b

 

 

Von Jürgen Klasing (Text und Fotos)

 

Das ist der Van-Sinn: Fords kleiner Familienwagen B-Max, aufgebaut auf dem Fiesta, setzt ein seltenes, aber sehr modernes und benutzerfreundliches Türkonzept um. Das heisst: Die Carrosserie kommt ohne mittlere Dachpfosten (B-Säulen) aus – dafür gibts vorne zwei seitliche Schwenktüren, und hinten kommen zwei praktische Schiebetüren zum Einsatz. Die Details, die in diesem Carrosserie-Konzept versteckt sind, hat carwing.ch während eines Kongresses unter die Lupe nehmen können.

 

Ford nennt das charakteristische Carrosserie-Merkmal «Panorama-Schiebetür». Der Vorteil: Durch das Fehlen der B-Säule wird der gesamte seitliche Zugangsbereich vergrössert, was den Zustieg ins Fond-Abteil wesentlich komfortabler gestaltet.

 

Gleichzeitig wird der Zugang zur zweiten Sitzreihe verbessert – das nützt beispielsweise beim Installieren von Kindersitzen oder wenn Kleinkinder bedarfsgerecht platziert werden müssen. Ein weiterer Pluspunkt ist der optimierte Zugang zum Innenraum in engen Parklücken.

 

Schliessen und sichern
Um die Schwenk- und Schiebetüren optimal öffnen, schliessen und sichern zu können, mussten die Entwickler das Schloss-System entsprechend auslegen. Die Umsetzung zeigt ein Produkt, das um einige Fanghaken ergänzt wurde. Sie dienen zur Ankopplung der Türen untereinander sowie zum Ankoppeln der Schiebetür mit der Carrosserie.

 

Das Schliess-System der Vordertüre besteht ebenfalls aus einem Schloss zum Schweller und einem weiteren zum Dachrahmen, was ein von der hinteren Schiebetür unabhängiges Bedienen ermöglicht. Um ein Trennen von vorderer und hinterer Tür sicher zu verhindern, wurde ein vertikales Fanghakensystem mit 300 mm Länge eingebaut.

 

Mit dieser Fangeinrichtung können auch die verschiedenen Seitenaufprall­Lastfälle und die ECE-Anforderungen für Schiebetüren erfüllt werden. Damit die Fanghaken sich bei einem Aufprall nicht verdrehen, sind sie grossflächig an ultrahochfesten Verstärkungen in den Türen befestigt worden. Diese Verstärkungen verbinden die mittig angeordneten Haken mit dem oberen und dem unteren Bereich der jeweiligen Tür.

 

Diese Verstärkungen bilden die integrierte B-Säule aus. Die Schiebetür stützt sich sowohl im Bereich der unteren als auch der oberen Schiene mit weiteren Fanghaken in der Carrosserie ab. Diese Haken sind so ausgelegt, dass sie bei Belastungen von aussen und/oder von innen die Tür sicher an ihrem Platz halten sollen.

 

Carrosserie-Steifigkeit
Die wichtigen Eigenschaften wie Steifigkeit, Festigkeit und Schwingungsfrequenzen einer Carrosserie mussten auch für das neue Konzept sichergestellt werden. Die Untersuchungen in der Entwicklungsphase des B-Max-Projektes hatten zudem gezeigt, dass durch das Weglassen der B-Säule die statische Torsionssteifigkeit um rund 15 % und die vertikale Biege-Eigenfrequenz um rund 20 % sinken würde.

 

In zahlreichen Simulationen wurden speziell die Lastpfade und die Verbindungstechnik um die Tür­ beziehungsweise Heckklappenöffnung optimiert. Das Fehlen der B-Säule wirkte sich auf die Carrosserie-Steifigkeit negativ aus. Zur Kompensation waren einige zusätzliche und verstärkende Blechbauteile notwendig. Diese sind in der unteren A- und der unteren C­ Säule verbaut worden. Dadurch konnte eine höhere Torsionssteifigkeit gegenüber dem aktuellen Ford Fiesta (Modelljahr 2012) erreicht werden.

 

Punktgeschweisste Stahl-Carrosserie
Der Ford B-Max wird auf einer reinen Stahl-Carrosserie aufgebaut, die überwiegend mit Punktschweiss-Technologie gefügt wird. Bei den unterschiedlichen Stahlwerkstoffen fällt die Anzahl der höher und höchstfesten Materialien auf sowie der Einsatz von warmumgeformten Blechteilen in den Türen. Wie üblich sind Vorderbau und hinterer Querträger in Schraubtechnik ausgeführt, um einen schnelleren Teilewechsel zu ermöglichen.

 

Gewicht der Carrosserie
Das Carrosserie-Konzept ohne B-Säule erfordert einen deutlichen Mehraufwand, um die erforderliche Carrosserie-Festigkeit zu erreichen. Dafür mussten die Führungen der Schiebetüre, die Türverstärkungen sowie die Verstärkungen der Unterbodenstruktur und der Sitzstruktur grösser dimensioniert werden.

Dadurch stieg im Carrosserie-Rohbau trotz Einsatz einer hochfesten Materialmischung das Fahrzeuggewicht um 95 Kilo. 23 Kilo fallen auf die verstärkte Unterkonstruktion der Sitzstruktur, 32 auf die integrierte B-Säule in den Türen, 17 auf die Schiebetüren und nochmals 23 auf die Sitzkonstruktion. Die vier Seitentüren bestehen aus fünf unterschiedlichen Stahlsorten und wiegen als Rohbauteile zusammen 76,8 Kilo.

 

Insgesamt kam ein Anteil von 58 % höherfestem Stahl am Strukturgewicht der Carrosserie zum Einsatz, 42 % sind niedrig-legierte Stähle. Durch die zentrale Rolle der Türen im Aufprallenergie-Management wird hier sogar ein Anteil von 20 % ultrahochfestem Stahl mit einer Streckgrenze von über 1000 MPa eingesetzt. Über die Hälfte besteht wiederum aus warm umgeformten Boran-Stählen.

 

Türverstärkungen
Zur Verteilung der Lastpfade im Crashfall wird die konventionelle B-Säule mittig aufgeteilt und die zwei so entstandenen Teile jeweils in den hinteren Bereich der Vordertür und den vorderen der Schiebetür als neue Elemente eingefügt. Ähnlich wie bei modernen B-Säulen-Verstärkungen kommt warmumgeformter Boron-UHSS-Stahl zum Einsatz. Die Stahlgutenverteilung in der Struktur der Vorder- und der Schiebetür beträgt 20% UHSS-Anteil in den Türen (7% UHSS und 13% pressgehärteter Boron­ Stahl).

 

In der Vordertür wird die Verstärkung im unteren Teil durch ein zusätzliches Blechteil aus hochfestem DP600-Stahl verstärkt. Für die flächige Unterstützung werden die Seitenaufprall-Verstärkungen unter den Aussenblechen ebenfalls aus martensitischem UHSS hergestellt Da die Tür aufgrund der zusätzlichen Verstärkungen um etwa neun Kilo schwerer wird, musste auch die Türsteifigkeit deutlich erhöht werden. Dazu sind alle Verstärkungen für die Scharniere und die Bollenwagen aus hochfestem DP600- Material hergestellt worden.

 

Die Schiebetüren
Um die gewählten Fanghaken für den Seiten- und Frontalaufprall optimal zur Überlappung zu bringen, wurde für die Schienenführung der Schiebetür eine S-Form entwickelt. Dabei fährt die Schiebetür schon 80 mm vor dem Schliessen in ihre seitliche Endposition, was durch die reine Längsbewegung für den verbleibenden Verlaufweg gewährleistet wird. Für die vertikalen Fanghaken zwischen vorderer Schwenktür und hinterer Schiebetür kann so eine optimale Überlappung bei geringstem Abstand erreicht werden. Der Verfahrweg der Türen ist so ausgelegt, dass sich bei geöffneter vorderer
und hinterer Tür eine gesamte Einstiegsöffnungsbreite von 1,5 Meter ergibt.

 

Veränderte Lastpfade
Auch der B-Max musste alle Anforderungen an den Insassenschutz erfüllen und die erreichte Fünf-Sterne-Bewertung im Euro-NCAP-Test zeigt, dass dies gelungen ist. Die Kopplung der Türen zur Fahrzeugstruktur spielt hier eine wichtige Bolle, um die Intrusionstiefe sowie die Intrusionsgeschwindigkeit der Türen ins Fahrzeuginnere zu minimieren.

 

Das einfache Ersetzen der üblichen hochfesten B-Säulen-Verstärkungen durch Verstärkungen in den Türen war nicht ausreichend, weil sich die Türen stark in die Fahrgastzelle gedruckt hätten. Deshalb muss sich die Vordertür zusätzlich zu den Verbindungen durch die Schlösser im Boden und Dachbereich auch an der hinteren Tür abstützen. Darüber hinaus müssen sämtliche Crashenergie-Belastungen sicher in den Dachrahmen und den Schweller übertragen werden. Sowohl zwischen den Türen als auch zwischen Tür und Carrosserie wurden Fanghaken eingesetzt, die eine deutlich höhere Tragstruktur als konventionelle Schlosshaken haben. Um die Aufprallenergie in den grossen Türen weiter zu verteilen, sind die Seitenaufprall-Verstärkungen entsprechend aus ultrahochfestem Stahl (UHSS) hergestellt.

 

Ausblick
Das Fahrzeugkonzept «ohne B-Säulen» wurde von Ford klar umgesetzt. Eine neue Dimension ist der Zugang zum Auto, der durch die innovative Lösung für Carrosserie und Türsystem ermöglicht wurde. Ein kleines Element des Konzepts ist auch der Einsatz eines in die vorderen Sitze integrierten Gurtsystems. Wie von einigen Cabriolet-Fahrzeugen bekannt, wird damit der leichtere Zugang zu der hinteren Sitzreihe fast uneingeschränkt möglich Die Sicherheitsgurte an den Vordersitzen verlaufen von der Sitzlehne oben (rechts oder links) über die Rückenlehne hinten hinunter und weiter unter den Vordersitz.

 

Für den Carrossier kommt ein neues Konzept in die Werkstatt, das im Schadensfall mit grösster Sorgfalt betrachtet werden muss. Neben Carrosserieflächen und Türen müssen die oberen und unteren Türschlösser der vorderen Schwenktüren und deren Fanghaken im Schweller begutachtet werden. Der vertikale Fanghaken zwischen der Schwenktür und der Schiebetür verlangt ebenso nach Kontrolle wie die Schiebetürführung hinten am Seitenteil aussen, oben im Dachrahmen oder unten im Schwellerbereich.

 

Wenn die optische Kontrolle nicht überzeugend verläuft, kann eine elektronische Vermessung sicherlich Klarheit schaffen. Ein Trost dazu: Ein umfangreiches elektronisches Sicherheitssystem für die Türen wie beim Opel

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