Oldtimer

Ein «Käfig» voller Raubkatzen

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Von Heinz Schneider (Text und Fotos)

 

Ein scharfer Linksknick, dann endet die kurze steile Auffahrtsstrasse in einem asphaltierten länglichen Vorplatz mit einigen wenigen Aussenparkplätzen. Links davon ruht ein englischer Rasen im Dreimillimeterschnitt, rechts ein balkonblumengeschmücktes, eher unscheinbares Mehrfamilienhaus, das auf sieben Garagenboxen ruht. Ohne Frage: Hier wirkt alles gutbürgerlich und sehr gepflegt, aber nie und nimmer exklusiv oder gar mondän. Und ausgerechnet hier soll also ein wertvoller Schatz verborgen sein? Ein Millionenschatz auf Rädern, von dem kaum jemand ahnt, dass es ihn überhaupt gibt? Schon gar nicht die paar Tausend Bewohner der Zürcher Vorortsgemeinde.

 

Dann, urplötzlich, gleitet ein im Rasenhügel verstecktes Tor nach oben, gibt den Blick frei auf eine über 200 Quadratmeter grosse Tiefgarage. Drinnen strahlt, in Reih und Glied und auf Hochglanz poliert, die Jaguar-Sammlung von Christian Jenny. 13 rare und kostbare Preziosen in perfektem Originalzustand, zusammengetragen auf der ganzen Welt und selbstverständlich fahrbereit. Geldwert: «Unwichtig», winkt der Eigentümer ab, während er das stabile Tor von innen sofort wieder verschliesst. «Meine Fahrzeuge sind historisches Kulturgut, ein Abbild der Jaguar-Geschichte. Nur das zählt.»

 

Wie wahr. Denn am Ausgangspunkt der versammelten Marken-Historie stehen vier edle Modelle von 1935 bis 1938. Aus jener Zeit also, in denen die Autos des britischen Herstellers noch «S.S.» (Swallow Sidecars and Standard Sports) hiessen, bevor die Bezeichnung wegen unrühmlicher Assoziationen in Jaguar umgewandelt wurde – als Synonym für Leidenschaft, Kraft, Ausdauer und Eleganz und mit entsprechendem Raubkatzen-Logo.

 

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Star unter den vier Kostbarkeiten ist der 1935er S.S. 90 Prototype – eine automobile Schönheit in British Racing Green, die sich rühmen darf, am Concours d´Elegance im kalifornischen Pebble Beach und am Concorso d´Eleganza Villa d´Este mit einem zweiten Rang geadelt worden zu sein. Von den ursprünglich 24 gebauten Exemplaren existieren heute noch 17.

 

Fast so rar (53 gebaute Einheiten) und genauso perfekt restauriert wie der S.S. 90 präsentiert sich der Jaguar C-Type aus dem Jahre 1952. Jenny, ehemaliger Informatikchef einer grossen Schweizer Gesellschaft, hat die Exklusivität 1997 in den USA aufgestöbert, wo sie jahrzehntelang in alle Einzelteile zerlegt und in Kisten verpackt im Dornröschenschlaf gelegen hatte. Heute setzt der Sammler den C-Type, genauso wie den schwarzen XK 140 SE Roadster mit 3,4-Liter-Sechszylindermotor (Jenny: «Ein 210-PS-Rauhbein mit viel Charakter»), regelmässig an verschiedenen Veranstaltungen und Rallyes ein.

 

Entfacht wurde seine spezielle Autoleidenschaft 1970. Jenny, aus dem Ausland in die Schweiz zurückgekehrt und deshalb auf der Suche nach einer geeigneten Alltagslimousine, hatte damals die Wahl zwischen einem BMW und einem Jaguar XJ, entschied sich auf Anraten seiner Ehefrau schliesslich für den Briten. Ihr Argument: «Der hat Stil.» Seither lässt die Marke den Umtriebigen nicht mehr los, hetzt ihn teilweise tage- und wochenlang über den gesamten Erdball, um mehr über die Lebensgeschichten seiner Fahrzeuge in Erfahrung zu bringen oder Personen kennen zu lernen, die etwas darüber berichten können. «Dann», sinniert der Pensionär, «findet meine Frau schon, dass ich es ein bisschen übertreibe mit der Liebe zu meinen Autos.»

 

Aber eben: Ohne Zuneigung und Beharrlichkeit geht gar nichts. Das beweist der Lebenslauf des «Lister Jaguar BHL16 3.8 Liter» von 1958, genannt «Knobbly», dem das Schicksal drohte, im Freien auf Holzpflöcken zu verrotten.

 

Und das kam so: Der seltene Lister Jaguar «Knobbly» – elf Exemplare wurden für den Verkauf gefertigt – wurde im Frühjahr 1959 an den Rennstallbesitzer Kjell Qvale nach San Francisco ausgeliefert. Dann, 1964, im Anschluss an Qvales Rennkarriere, wird «Knobbly» von einer eher zwielichtigen Milieufigur erstanden. Jack Edward Capehart, so heisst der Mann, kommt später unter unbekannten Umständen zu Tode. Und der preisgekrönte Rennwagen in die Obhut seiner Mutter.

 

Als bekannt wird, dass die ihr hoch dekoriertes automobiles Erbe irgendwo in Oklahoma im Obstgarten ihrer Farm verrotten lässt, macht sich High-School-Student Dave Reynolds auf die Suche nach dem verschwundenen Schatz. Mehr als sechs Monate lang pedalt der 17-Jährige in seiner Freizeit auf dem Velo durch die Gegend, klappert jeden Bauernhof ab. Dann, im Frühling 1974, wird er fündig: Er spürt den Sportwagen auf, der sich bereits in einem erbärmlichen, aber immerhin kompletten Zustand befindet und kauft ihn. Fast 30 Jahre später, Mitte 2003, verkauft Reynolds die Rarität an Christian Jenny.

 

Dessen Kollektion besteht nunmehr ausschliesslich aus offenen Zweisitzern mit rennsportlicher Historie. Einzige Ausnahme: ein Jaguar E Coupé. Es ist in der Szene ein berühmter Klassiker, auf den sogar die Organisatoren von «British Design 1948 – 2012» ein Auge geworfen haben: Sie liehen sich das «Eiligtum» kürzlich für die Ausstellung im Londoner Victoria & Albert Museum als Stargast gleich für ein halbes Jahr aus. Was aber macht dieses Auto so begehrenswert?

 

Blenden wir zurück: Das Coupé, grösstenteils noch von Hand gefertigt, gelangt am 6. März 1961 auf direktem Weg vom Jaguar-Werk Coventry nach Genf, wo es neun Tage später am Automobilsalon stellvertretend für die neue E-Baureihe Weltpremiere feiert. Anschliessend an die Typenprüfung wird der E-Type von einer Schweizer Rechtsschutzversicherung gekauft und als Direktionswagen eingesetzt. Dann verliert sich seine Spur. Jahre später taucht er bei einem lebenslustigen Schiffskoch wieder auf, wird dann aber nach einem vom Besitzer verursachten Verkehrsunfall von der Luzerner Polizei beschlagnahmt. Im Herbst 2002, im Anschluss an eine aufwändige dreijährige Restauration durch den Schweizer Spezialisten Georg Dönni, rollt das geschichtsträchtige Coupé in Christian Jennys Garage.

 

Die hat sich übrigens in all den Jahren nicht nur zur historischen Kultstätte gewandelt, sondern dient dem weltweit anerkannten Jaguar-Experten auch als Gymnastikhalle fürs tägliche Fitness- und Beweglichkeitsprogramm. Halt auch ein bisschen aus Eitelkeit. Denn was ist peinlicher für einen Sportwagenfahrer, als sich vor Publikum ungelenk und nur mit Mühe in oder aus dem Sitz eines kostbaren Autos zwängen zu müssen?

 

{slider=Die Jenny-Sammlung: Alle Eiligtümer auf einen Blick                               Klicken Sie hier}

 

SS Cars Ltd., S.S. 90, Prototype, 1935
Der erste je von SS Cars Ltd. und William Lyons gebaute Sportwagen. Prototyp. Wurde am 15. März 1935 erstmals der Presse vorgestellt. Diente im Krieg mit Tarnscheinwerfern als Transportauto.

 

SS Cars Ltd., S.S. 90, 1935
Erster verkaufter und für den Strassenverkehr zugelassene Sportwagen von SS Cars. Wird am 1. Juni 1935 nach Coventry an Sir Captain John Black ausgeliefert. 2007, nach umfassenden Restaurationsarbeiten bei der Emil Frey AG, wird das Auto von Christian Jenny im Kanton Zürich eingelöst.

 

SS Cars Ltd., SS Jaguar 100, 1937
Von 1938 bis 1982 in der Schweiz registriert. Unter anderem 30 Jahre lang im Besitz eines Architekten in Muri (BE). 1982 Export nach England, 1993 in die USA. Im Jahre 2000 ist der seltene Jaguar Gegenstand eines Rosenkrieges. Christian Jenny wird Käufer.

 

SS Cars Ltd., SS Jaguar 100, 1938
Wurde im Mai 1938 nach Prag an einen englischen Diplomaten ausgeliefert. Wurde von 1987 bis 1989 vollständig restauriert.

 

Jaguar XK 120 Alloy, 1950
Der 121. XK 120, der je mit Linkslenkung gebaut wurde. Eines von 240 Exemplaren mit Aluminiumbody und in Handarbeit hergestellt. Technisch überholt, aber keine Komplettrestauration. Entspricht im jeder Hinsicht den ursprünglichen Spezifikationen inklusive originale Eschenholz-Struktur im Heck.

 

Jaguar XK 120 Alloy, 1949
63. Auto aus der XK-Reihe mit Linkslenkung. Eines von 240 Exemplaren mit Aluminiumbody. Am 12. Januar 1950 von der Emil Frey AG an Albert «Bätsch» Scherrer ausgeliefert, der ihn erfolgreich in Rennen einsetzt – u.a. mit den Rängen 3, 1 und 2 beim GP Bremgarten Bern in den Jahren 1950, 51 und 52.

 

Jaguar XK 120 C-Type, 1952
C steht für Competition. 23. von 53 Exemplaren. 45 existieren noch. Lange Rennhistorie, u. a. von TV-Produzent Jack Douglas gefahren. 1956 von Douglas Mechaniker in einem Rennen beschädigt. Die zerstörte Alukarosserie wird durch einen Plastikaufbau ersetzt. Frank Schierenbeck kauft das Auto 1961 für 1000 Dollar. Er lässt das Auto teilzerlegen, hortet es in einem Schuppen bis 1997. Dann von einem Restaurator zusammengefügt und mit der wieder gefundenen Originalkarosserie versehen. Später taucht auch der originale Zylinderkopf wieder auf in einer Replica, die Ch. Jenny ebenfalls kauft.

 

Jaguar XK 140 SE, 1955
Teilnehmer vieler Rennsportveranstaltungen. Kam 1980 in die Schweiz und 1989 in Christian Jennys Sammlung.

 

Lister Jaguar «Knobbly» 3,8-Liter, 1958
Eines der Highlights in der Sammlung des Zürchers. Angaben siehe Text.

 

Jaguar XK 150 S, 1960
Rarität. 38 S-Modelle (34 sind noch bekannt) wurden gebaut, davon 14 mit Linkslenkung. Einziger Linkslenker in der Schweiz. Buchstabe S bedeutet drei SU-Vergaser. Zudem erhielt der S ab 1959 3,8-Litermotor (265 SAE-PS) statt 3,4-Liter wie die herkömmliche Version.

 

Jaguar E-Type OTS, 1961
151. Cabi-Ausführung, die je mit Linkslenkung gebaut wurde. Gehört zu den 30 ältesten E-Types, die heute noch existieren. Entspricht in den kleinsten Details den Originalspezifikationen. Seit 1990 im Besitz von Christian Jenny, der ihn regelmässig fährt.

 

Jaguar E-Type OTS V12, 1972
Eines von 14 Cabriolets mit 12-Zylindermotor. Erstbesitzer ist ein Schweizer Zahnarzt, der ihn fünf Jahre später gegen einen Range Rover eintauscht. 1978 als Grundstein für die Sammlung von Christian Jenny gekauft.


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