Carrosserie- und Fahrzeugbau

Interview mit Thomas Rentsch, Leiter der Berufsbildung VSCI

 

 

Der Schweizerische Carrosserieverband (VSCI) hat mit «Top-Ausbildungsbetrieb» (TAB) ein Vorzeige-Projekt kreiert. Dieser Überzeugung waren auch namhafte Juroren: Sie haben «TAB» kürzlich unter 20 weiteren Mitbewerbern als aktuell innovativstes Ausbildungsprojekt erkannt und mit dem «Enterprize 2017» geehrt. Wir haben Thomas Rentsch, Leiter der Abteilung Berufsbildung VSCI, zum Projekt und zur Philosophie, die dahinter steckt, befragt.

 

Herr Rentsch, mit Ihrem Label «Top-Ausbildungsbetrieb» . . .
Thomas Rentsch: . . . halt, halt, das TAB-Label gehört nicht mir, sondern unserer Branche.

 

Ich korrigiere mich: Sie sind der Vater des Gedankens – und haben die Idee gegen einige anfängliche Widerstände durchgesetzt.
Thomas Rentsch: Ich habe für TAB gekämpft, das ist richtig.

Das ist mir noch zu bescheiden, schliesslich wurde TAB soeben von namhaften Juroren als das innovativste Ausbildungsprojekt erkannt und mit dem «Enterprize» ausgezeichnet. Damit werden Projekte und Persönlichkeiten im Bereich der Berufsbildung geehrt, die für die Entwicklung der Gesellschaft wegweisend sind. Ich meine, jeder lässt mal einen Furz, aber das ist noch lange keine Innovation.
Thomas Rentsch: Die Idee ist immer der Anfang einer Innovation. Daran zu glauben, dafür zu kämpfen und die Umsetzung voranzutreiben – das ist tatsächlich Knochenarbeit und war auch im Projekt TAB der anspruchsvollste Teil im ganzen Gefüge. Da habe ich mich einbringen können.

 

Um auf die Eingangsfrage zurückzukommen: Die Carrosseriebranche will künftig mehr Fachkräfte hervorbringen. Das Mittel dazu ist eben TAB, das den Betrieben eine höhere Ausbildungsqualität und mehr soziale Kompetenz vermitteln soll. Welche von den rund 400 VSCI-Carrosserieunternehmungen, die Lernende ausbilden, können da mitmachen?

Thomas Rentsch: Jeder, der bereit ist, an sich zu arbeiten, ist herzlich willkommen. Übrigens auch Nichtmitglieder.

 

Was verstehen Sie unter «an sich arbeiten»?
Thomas Rentsch: Der erste Schritt ist, selbstkritisch zu sein und eventuelle Mängel im eigenen Ausbildungskonzept schonungslos aufzudecken. Es ist keine Schande, sich einzugestehen, dass man das eine oder andere optimieren sollte. Eine Schande wäre es, diese Mängel zu verwedeln oder ganz wegzuschauen. Nur wer seine Baustellen kennt und anerkennt, hat die Chance daran zu arbeiten und sich weiterzuentwickeln.

 

Und welcher Schritt ist der Zweite?
Thomas Rentsch: Die qualitative Ausbildung setzt die passende Rekrutierung des Personals voraus. Die Einstiegsfrage an den Berufsmessen dreht sich fast immer um die Höhe des Lohnes, und da kann unsere Branche im Vergleich zu anderen des öfteren nicht mithalten. Also müssen wir uns auf die Stärken und Chancen konzentrieren, die unsere Berufe bieten – und diese hervorstreichen.

 

Wie weiss ich, dass ich richtig und passend rekrutiere?
Thomas Rentsch: Die Entwicklung unserer Gesellschaft bringt es mit sich, dass der ursprünglich gute Handwerker heute auch noch Unternehmer und Pädagoge sein muss. Junge Leute wollen einen Sinn sehen in dem was sie tun. Also muss ich dem Lernenden schon im Vorgespräch klarmachen, was ihn erwartet und was von ihm erwartet wird. So stellt man eine Win-Win-Situation her: Ich biete etwas, bekomme aber auch etwas zurück. Es klappt nicht, einen Sekundarschüler mit den besten Noten haben zu wollen und ihn dann wie einen Handlanger zu behandeln. Das ist ein Widerspruch. Ein junger Mensch muss sich im Beruf verwirklichen und mit der Gewissheit zur Arbeit gehen können, dass er nicht zum Hilfsarbeiter von irgend jemandem wird. Er hat das Recht, alle Chancen aufgezeigt zu bekommen, die ihm sein Beruf bietet. Aber man sollte ihm diese Chancen dann auch geben, damit er sie packen und sich hocharbeiten kann. Auf diesem Weg erfährt der Lernende Wertschätzung und die Erkenntnis, dass er ein wichtiger Teil im Gesamtprozess des Betriebes werden kann. Zurück erhält man mitdenkende Berufsleute mit einem hohen Mass an Selbstverantwortung und Selbstständigkeit.

 

«Top-Ausbildungsbetrieb» kann also auch aufzeigen, wie man Win-Win-Situationen herstellt. Gibt es dafür ein Patentrezept?
Thomas Rentsch: Leider nein, aber sicherlich ein paar Regeln, die man einhalten sollte. Wie gesagt möchte ich einem Mitarbeitenden den Sinn für sein Tun aufzeigen, ihm Verantwortung übertragen und gleichzeitig Berufsstolz vermitteln. Damit entsteht nicht nur Loyalität, sondern es fördert auch die Identität mit dem Beruf und dem eigenen Betrieb. Eventuell nimmt der eine oder andere sogar noch etwas weniger Lohn in Kauf wenn er spürt, dass die Wertschätzung hoch ist und er zum Team gehört.

 

Auf der anderen Seite müssen auch die Lernenden in die Pflicht genommen werden. Welchen Part haben sie zu spielen in den bevorstehenden vier Jahren?
Thomas Rentsch: Ich würde ihnen sicher vermitteln, dass die Arbeitswelt keine geschützte Institution ist. Und wir keine Bastler sind, sondern gemäss Herstellerrichtlinien effizient, strukturell und produktiv arbeiten müssen. Natürlich weiss ich, dass nicht jeder Mensch gleich ist. Die einen agieren sehr selbständig, andere werden gerne geführt und überlassen das Denken lieber den andern. Aber das kann jeder Lehrmeister schon bei der Rekrutierung steuern, indem er sich klar macht, welche Tätigkeiten er anzubieten hat und welche Menschentypen er für diese Aufgaben braucht. Zudem müssen die Rekrutierten zum in der Unternehmung praktizierten Führungsstil und der daraus entstandenen Betriebskultur kompatibel sein.

 

Stellen Sie grundsätzlich Verbesserungen fest in der Art, wie junge Menschen heute rekrutiert werden?
Thomas Rentsch: Punktuell auf jeden Fall. Aber es gibt in jeder Branche nach wie vor Unterschiede in der Art und Weise, wie die Betriebe im Grundsatz mit den Mitarbeitern umgehen. Das beginnt bei der Rekrutierung, geht über die Aus- und Weiterbildung bis zur Personalführung. Mitarbeitergespräche sind zwingend – wer sie vernachlässigt, hat ja gar keine Ahnung von dem, was seine Mitarbeitenden beschäftigt. Ergo bezieht er ihr schlummerndes Potential auch nicht in die Strategien des Geschäftes ein. Für eine vertrauensvolle Basis ist das verheerend. Wer einen Beruf ergreift, will sich dort getragen und wohl fühlen – weil der Beruf ein Teil seines Lebens und seine Zukunft ist. Daraus kann der Betrieb seinen Nutzen ziehen: Indem er dem Lernenden das bietet, was diesen letztlich dazu motiviert, Leistungen zu erbringen.

 

Wo beginnt für Sie diese Motivation? Wie kann ich Leistung fördern?
Thomas Rentsch: Da gibt es Hunderte von Möglichkeiten schon im Alltag. Letzthin hat mir zum Beispiel jemand erzählt, dass sein Lehrling nichts zu suchen hat beim Kunden, der seinen reparierten Wagen abholt. Ich halte das für völlig falsch. Der Lernende soll erfahren dürfen, wie dankbar und froh der Kunde ist, wenn er seinen zuvor beschädigten Wagen im Neuzustand abholen darf. Dieses Erlebnis fördert den Berufsstolz – und festigt die Überzeugung, dass man etwas erschaffen hat, was die Augen des Gegenübers leuchten lässt. Ausserdem stützt der Kundenkontakt bei der Abgabe das Verantwortungsbewusstsein, auch wirklich gute Arbeit abliefern zu wollen, wenn man dabei dem Kunden in die Augen schaut.

 

Welche Rollen in diesem Motivationsprozess können Berufsleute mit WM-Weihen wie Pascal Lehmann, André Schmid, Angela Jans oder Manuel Lipp da übernehmen?
Thomas Rentsch: Sie sind die besten Botschafter und somit Gold wert – weil sie ihren besonderen Groove früh mitbekommen und darüber hinaus schnell gelernt haben, mitzudenken. Ein erfolgreicher WM-Teilnehmer ist ein Thema, mit dem junge Leute für unsere Berufe begeistert werden können. Das andere ist der «Lehrmeister des Jahres» – damit lassen sich die Berufsbildner auf ein Niveau bringen, das sich überall sehen lässt. Es wird unsere Aufgabe sein, unsere drei «Lehrmeister 2017» künftig mehr zu Wort kommen zu lassen. Denn die haben durchaus sehr viel zu sagen – und was sie sagen, kommt auch überall gut an. Die Ausarbeitung des Konzepts für den Botschaftereinsatz und die entsprechende Schulung stehen weit oben auf meiner To-do-Liste.

 

Was hat Sie bei der Umsetzung von TAB bislang am meisten überrascht?
Thomas Rentsch: Das Tempo, mit dem sich alles entwickelt hat. Da ist einiges dazugekommen, womit wir anfangs nicht gerechnet haben. Zum Beispiel wurde seit Projektstart 2014 zusätzlich der «Lehrmeister des Jahres» ins Projekt integriert. Das war so nicht vorgesehen. Damit die Betriebe die höchste Ausbildungsstufe 3 erreichen können, bildete ich persönlich zusätzlich Coaches aus, deren Aufgabe es ist, diese Betriebe individuell und massgeschneidert zu begleiten. Und mit «Yousty» fanden wir schliesslich noch einen Partner: Er produziert für die Betriebe kostengünstig Berufsvideos im eigenen Arbeitsumfeld und sorgt auch gleich für einen angemessenen Marketingauftritt im Internet, in dem offene Lehrstellen und Schnupperplätze auf jugendgerechte Art präsentiert werden.

 

Bis Ende 2017 rechnen Sie mit insgesamt zehn Betrieben, welche die höchste Ausbildungsstufe 3 erreicht haben und sich deshalb «Top-Ausbildungsbetrieb» nennen dürfen. Welche Herausforderungen warten auf diese Betriebe?
Thomas Rentsch: Es wird eine permanente Herausforderung sein, Qualität im Alltag auch wirklich konsequent das ganze Jahr hindurch zu leben. Alles ist im ständigen Wandel und der zukunftsorientierte Ausbildungsbetrieb trägt dem Rechnung. Bildungsberichte müssen nachhaltig ausgefüllt und Mitarbeitergespräche ebenso nachhaltig geführt werden. Es reicht nicht, die Prozesse der Zielerreichung nur zu beobachten – sie müssen eng begleitet und laufend optimiert werden.

 

Sie haben einmal gesagt, dass sich TAB im Grundsatz auf viele Branchen übertragen lässt. Gibts diesbezüglich Pläne?
Thomas Rentsch: Das Interesse anderer Branchen wurde nicht zuletzt durch die Verleihung des «Enterprize» massiv geweckt. Ich erhalte fast täglich Anfragen von Verbänden und Bildungsinstitutionen. Entsprechend haben wir einen zweitägigen Einführungskurs geöffnet, um «TAB» auch Externen zu präsentieren. Mein aktuelles Ziel ist es, «Top-Ausbildungsbetrieb» weitherum bekannt zu machen. Wenn Mami, Papi, Grosi, Schwester, Bruder, Lehrer und alle, welche die Berufswahl beeinflussen können und wollen, unser Label als 1A-Gütesiegel erkennen und damit arbeiten möchten, dann haben wir sehr viel erreicht. Vielleicht gehört es tatsächlich einmal dazu, dass wir uns weiter öffnen und branchenfremden Betrieben den Weg zum «Top-Ausbildungsbetrieb» ermöglichen. Wer weiss . . . , mindestens unser Partnerverband in der Romandie FCR nimmt die Umsetzung von TAB 2017 in Angriff.

 

 

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