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«Joyeux anniversaire» – der R16 feiert seinen Fünfzigsten

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      Keine Frage: Als der Renault 16 vor 50 Jahren in den Markt trat, war er beinahe so etwas wie eine automobile Sensation. Die praktische Limousine aus der oberen Mittelklasse hatte ein Schrägheck, eine riesige Kofferraumklappe und obendrein ein noch nie dagewesenes Innenraumkonzept. So ausgerüstet, liess der Franzose seine Konkurrenten mit konventionellem Stufenheck auf einen Schlag sehr alt aussehen.

       

      Dafür gabs Lob von allen Seiten. Rennsportlegende Stirling Moss bezeichnete den R16 als «das am intelligentesten konstruierte Automobil», das er je gesehen habe. Und die Zeitschrift «mot Auto-Kritik» verspürte gar «eine Ohrfeige für die deutsche Automobiltechnik» und erhob ihn euphorisch zum «neuen Massstab» für die Branche.

       

      Technischer Vater des R16 war Renault-Präsident Pierre Dreyfus, der schon den kleineren R4 initiiert hatte. Er bittet im Sommer 1961 die Entwickler zu sich ins Büro und erteilte ihnen den Auftrag, ein Familienauto der neuen und besonderen Art zu bauen. Es sollte elegant wie eine Limousine sein – und dennoch geräumig und wandlungsfähig wie ein Kombi. Denn grössere Familien, wie es sie in den Sechziger Jahren häufig gab, brauchten viel Platz. Um den Fond uneingeschränkt zu nutzen, setzt Dreyfus voll und ganz auf Frontantrieb. Ansonsten haben die Entwickler freie Hand.

       

      Entwicklung in Rekordzeit
      Zu den kreativsten Köpfen des neu gegründeten «Bureau de Style» zählt der 31jährige Gaston Juchet. Er zeichnet im Spätsommer 1961 den Entwurf für einen Viertürer mit Schrägheck und je drei Seitenscheiben – es war die Geburtsstunde des R16-Konzepts. Die Entwicklung erfolgt in der Rekordzeit von nicht einmal vier Jahren. Parallel dazu errichtet Renault in 18 Monaten in Sandouville bei Le Havre ein komplett neues Werk. Die Serienfertigung des Newcomers startet im Januar 1965, seine Messepremiere hat der Renault 16 zwei Monate später auf dem Genfer Automobilsalon.

       

      Das Presse-Echo ist sehr gross
      Die Masse des Neulings: 4,32 Meter Länge, 1,65 Meter Breite und 1,36 Meter Höhe. Es gibt vier Türen – zählt man die grosse Kofferraumklappe dazu, sind es fünf. Das Presse-Echo: überwältigend. «Sieg der Vernunft: innen grösser als aussen», jubelt die Zeitschrift «hobby». Selbst «auto motor und sport» – in der Bewertung ausländischer Fahrzeuge traditionell zurückhaltend – meint: «Ein neuer Begriff in der Mittelklasse.» Tatsächlich fällt er nicht nur mit seiner Heckklappe aus dem Rahmen. Auch der lange Radstand und das «Pagodendach» tragen zum unverwechselbaren Erscheinungsbild bei. Die hochgezogenen Carrosserie-Kanten sind mehr als nur ein Design-Gag: Sie verleihen dem Fahrzeug eine ausgezeichnete Verwindungssteifigkeit – und dies trotz fehlender Querwand zwischen Passagierabteil und Kofferraum.

       

      Die Sitzlandschaft lässt sich in sieben Positionen an die unterschiedlichsten Situationen anpassen. Wer viel zu transportieren hat, kann das Fondgestühl umklappen, um bis zu 15 Zentimeter nach vorne schieben oder ganz ausbauen. Hierdurch wächst das Ladevolumen von 346 auf 1200 Liter. Eine weitere – heute aus der Mode gekommene – Konfiguration erlaubt es, die Rückenlehne der Fondbank unter den Dachhimmel zu hängen, während das Sitzkissen nach vorne gekippt und von hinten an die Vordersitze gelehnt wird.

       

      Individuelle Ruhemöglichkeiten für Beifahrer und Sprössling
      Der Beifahrer kann zwischen zwei Liegekombinationen für seinen Sitz wählen, eine für unterwegs, die andere für das Nickerchen auf dem Rastplatz. Und in der «Mami»-Position – so wollen es die Namensgeber – rückt der Beifahrersitz auf Tuchfühlung an die Fondbank, so dass der schlafende Sprössling bei einer Vollbremsung nicht in den Fussraum purzelt. Auch wenn solche Konstellationen nicht den heutigen Erkenntnissen der Unfallforschung entsprechen mögen, erweist sich der R16 damit als würdiger Vorläufer der multivariablen Modelle unserer Tage.

       

      Moderner Motor in Aluminium-Bauweise
      Antriebstechnisch hat der R16 ebenfalls viel zu bieten: Unter der Haube beherbergt er den ersten komplett aus Aluminium gefertigten Motor. Anfangs mobilisiert der Leichtmetall-Vierzylinder 55 PS aus 1470 Kubikzentimeter Hubraum. Im Lauf der Zeit steigt die Leistung auf 93 PS in der 1973 vorgestellten Spitzenversion TX. Damit verbunden ist ein stetiges Hubraumwachstum auf 1647 Kubikzentimeter. «In Bezug auf Laufruhe, Elastizität und Leistungsverhalten gehört der Motor zum Besten, was heute in der Vierzylinder-Mittelklasse existiert», lobt «auto motor und sport» das Aggregat.

       

      Ein Auto, zwei Radstände
      Vom R4 erbt der grosse Bruder die Drehstabfederung. Diese sorgt nicht nur für einen «Federungskomfort, der seinesgleichen sucht», so «auto motor und sport», sondern trägt auch zum ausgezeichneten Ladevolumen bei, weil keine störenden Federdome in den Kofferraum ragen. Kurioser Nebeneffekt dieser Lösung: Der avantgardistische Gallier hat links einen um 67 Millimeter längeren Radstand als rechts. Bei 2717 beziehungsweise 2650 Millimetern fällt dies indes nur dem geübten Auge auf.

       

      Erfolg auf ganzer Linie
      Die Mischung aus Variabilität, Wirtschaftlichkeit und Oberklasse-Gefühl zieht: 1966, im ersten vollen Verkaufsjahr, setzt Renault in Frankreich 68 916 Fahrzeuge ab. Bis 1969 steigt die Zahl auf 92 488. Weltweit werden in jenem Jahr 179 991 Modelle abgesetzt – eine Zahl, die 1970 überboten wird, als 193 698 Autos Sandouville verlassen.

       

      Zum Boom trägt auch die Wahl zum «Auto des Jahres» im Dezember 1965 bei. Später kurbeln die Einführung des stärkeren TS-Modells mit 83 PS und die Automatikversion (67 PS) den Absatz an. Darüber hinaus startet Renault den R16-Export nach Kanada und in die USA, wo das Auto die Herzen der Motorpresse erobert. Das US-Magazin «Road Test» schlägt vor, «alle in Detroit arbeitenden Designer zwei Wochen ans Lenkrad dieses Autos zu setzen, in der Hoffnung, dass ihre eingeschläferte Fantasie wieder aufgeweckt wird.» Mehr Kompliment geht kaum.

       

      Facelift und Weltkarriere
      Zum Modelljahr 1971 erlebt der R16 sein erstes Facelift: Er bekommt grössere und rechteckige Heckleuchten, die ausserdem etwas tiefer platziert sind. Die Basisversion leistet jetzt 67 PS wie zuvor beim Automatikmodell. Die Modellpflege-Massnahmen halten die Karriere im Schwung: Anfang 1972 rollt in Sandouville der Millionste R16 vom Band. Längst wird er nicht mehr nur in Frankreich gebaut. Montagewerke finden sich in 14 weiteren Ländern der Erde, darunter so entfernten Weltgegenden wie Trinidad, Venezuela, Madagaskar und Australien. Nur ein Jahr später legt Renault nach: Auf dem Pariser Salon im Oktober 1973 debütiert das neue Topmodell der Reihe, der Renault 16 TX mit 1647 Kubikzentimetern und 93 PS. Im Januar 1980 macht der Urahn der Schräghecklimousinen nach 1 845 959 produzierten Exemplaren der jüngeren Generation Platz.

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