Automobil

Interview: Bruno Campino, Geschäftsführer Mitsubishi CH

 

Von Heinz Schneider

Verwirrung um Mitsubishi: Im Juli 2020 kündigte die Marke den Rückzug aus Europa an. Ein paar Monate später folgte der Widerruf. Wie Händler und Mitarbeiter die schwierige Situation überstanden haben und was die Zukunft für Mitsubishi Schweiz bringen wird, schildert Geschäftsführer Bruno Campino im Gespräch mit carwing.ch. Und verrät dabei folgendes: «Wir bringen ein Modell auf Renault Clio-Basis. Dann greifen wir wieder im Segment an, wo bereits der Colt erfolgreich war!»

 

Herr Campino, was haben Sie in dem Augenblick getan, als die Rückzugs-Meldung Sie im Sommer 2020 erreicht hat?
Bruno Campino: Ich hatte gerade Sommerferien und weilte am Thunersee. Diese Nachricht kam aus dem Nichts und traf mich unvorbereitet.

 

Sie waren damals noch nicht Geschäftsführer, sondern für den Verkauf verantwortlich. Wie fühlten Sie sich?
Bruno Campino: Ich habe nicht glauben können, dass eine Marke mit dieser Historie das Europageschäft aufgeben will. Zudem hat uns alle der in der offiziellen Mitteilung verwendete Begriff «freeze» irritiert. Was bedeutet «einfrieren»? Vielleicht temporär? Die Verunsicherung war gross. Immerhin bestand der aktuelle Modellplan aus neuen Produkten wie Eclipse Cross, ASX und Outlander. Wir wussten nicht, wie es damit weitergehen sollte.

 

In der Nachbetrachtung könnte man denken, dass sich die drei Allianzmarken Renault, Nissan und Mitsubishi untereinander zuviel Konkurrenz machten und das Headquarter deshalb beschloss, Mitsubishi abzuziehen und in anderen Märkten zu stärken.
Bruno Campino: Ich glaube eher, die Mitsubishi-Führung liess sich verunsichern. Der damalige langjährige Präsident Osamu Masuko war zu der Zeit schwer krank (Anm. Red.: Er starb am 27. August 2020 im Alter von 71 Jahren), und wie es in Grosskonzernen so üblich ist in schwierigeren Zeiten, haben auch bei Mitsubishi die Finanzfachleute das Ruder übernommen. Sie stellten fest, dass das Europa-Business wenig rentabel ist und fassten kurzfristig den Entschluss, die Situation zu stoppen und neu zu beurteilen.

 

Wie erwähnt, waren Sie da im Verkauf tätig, hatten also engen Kontakt mit den Händlern. Wie haben die Garagisten reagiert? Mit Kündigungen?
Bruno Campino: Es gab wirklich keine Panik, und niemand hat aus der neuen Situation heraus gekündigt. Aber natürlich waren sie verunsichert – die einen mit der Meinung, dass der Entscheid vielleicht nicht definitiv ist, andere sagten klar, mit dem vorhandenen Modellvolumen nicht überleben zu können und zusätzlich über andere Marken nachzudenken. Jeder hat eine andere Ausgangslage – es gibt Betriebe, die stehen vor einem Generationenwechsel und machen sich Gedanken über zusätzliche Fahrzeugmarken, die in ihrer Region untervertreten sind oder aktuell boomen. Klar, das können auch die Allianzmarken Renault oder Nissan sein. Andere Garagisten wiederum sind bald pensioniert und haben keine Nachfolger. Für sie ist es wichtig, noch zwei oder drei Jahre mit Service- und Wartungsarbeiten weiterzumachen.

 

Wieviele Händler hat Mitsubishi Schweiz heute und wieviele sind es in fünf Jahren?
Bruno Campino: Aktuell haben wir 115 Verkaufs-Stützpunkte. Eine Prognose ist schwierig, auch weil niemand weiss, wie genau das Vertriebssystem künftig aussehen wird in der Schweiz. Von Herstellerseite aus diskutiert man gerne die Einführung des Agenten-Modells (Anm. Red.: Mischung aus herstellergesteuertem Online-Verkauf und traditionellem Handelsvertrieb), was für unsere Allianz allerdings kein Thema ist. Die Verantwortlichen halten am aktuellen Vertriebssystem fest. Trotzdem wird es im Händlernetz Abgänge geben, das ist für mich klar.

 

Die Kundschaft hat sich von der allgemeinen Verunsicherung nicht gross anstecken lassen. Denn 2021 hat Mitsubishi 2477 Neuwagen verkauft – das sind 32,4 Prozent weniger als 2020. Angesichts der Umstände mit Rückzugsmeldung und Corona dürften Sie damit zufrieden sein. Oder nicht?
Bruno Campino: Wir haben sehr viel durchgemacht in den vergangenen anderthalb Jahren. Deshalb ist dieses Resultat für uns besonders erfreulich – es spricht für unsere Produkte, die Treue der Kundschaft und für die Händler, die sich im Tagesgeschäft nicht haben unterkriegen lassen.

 

Auf die Rückzugsmeldung folgte im März 2021 die 180-Grad-Wende – mit der Ankündigung einer neuen Strategie ab 2023 mit neuen Produkten. Was ist in dieser kurzen Zeitspanne in den Köpfen der Entscheidungsträger passiert?
Bruno Campino: Ich vermute genau das, was ich eingangs erwähnt habe: Der erste Entscheid kam schnell, überstürzt und ohne Absprache innerhalb der Allianz. Ich denke, Renault-Chef Luca de Meo suchte das Gespräch, nachdem er vom Vorgehen von Mitsubishi erfuhr. Zudem hat die Emil Frey-Gruppe diesbezüglich «gestupft» mit dem Argument, man habe jahrelang in die Marke investiert und will jetzt nicht im Stich gelassen werden. Hinzu kommt, dass Herr de Meos neue Strategie nicht das Absatzvolumen im Fokus hat, sondern die Gewinnmaximierung und den Plan, kein Werk schliessen zu müssen. Das alles hat dem Europageschäft Dynamik verliehen. Leider etwas spät. Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich mir wünschen, dass zuvor mehr gesprochen und so weniger Porzellan zerschlagen worden wäre.

 

Welche Modelle bieten Sie aktuell in der Schweiz an?
Bruno Campino: 2022 müssen wir hauptsächlich mit den Modellen Space Star und Eclipse Cross PHEV über die Runden kommen. Der Space Star ist ein erfolgreicher Kleinwagen im A-Segment, aus dem sich einige Mitbewerber mittlerweile verabschiedet haben. Das ist für uns ein grosser Vorteil. Mit ihm erhalten die Kunden sehr viel Auto für wenig Geld, inklusive Fünfjahres-Garantie. Ich meine, wir werden sicherlich noch drei Jahre lang grosse Freude an ihm haben.

 

Allrad-Fans vermissen natürlich den Pickup «L200». Wird es von ihm einen Nachfolger geben?
Bruno Campino: Leider nein, die Produktion ist Ende Oktober eingestellt worden. Er steht aus CO2-Gründen nicht mehr im Modell-Lineup.

 

Kann man ihn noch kaufen?
Bruno Campino: 2022 rollt noch ein Jahresvolumen zu den Händlern. Aber danach ist Schluss. Er hätte nur eine Chance, wenn er von Synergien profitieren könnte. Das heisst, wenn Renault Alaskan und Nissan Navara weitergebaut werden würden. Aber das ist nicht der Fall.

 

Eine reine Mitsubishi-Entwicklung ist der Eclipse Cross PHEV. Welche Rolle spielt er künftig?
Bruno Campino: Eine sehr wichtige. Mit ihm haben wir ein schickes SUV in toller Optik im Angebot, das für 40 000 Franken alles bietet – inklusive Plug-in-Hybridtechnik und Allradantrieb. Wir müssen ihn jetzt nur noch ein wenig promoten.

 

2023 folgen zwei Neuheiten, die Renault entwickelt hat und die als Schwestermodelle unter Mitsubishi-Label verkauft werden. Verraten Sie uns mehr darüber?
Bruno Campino: Im Frühling 2023 erhalten wir den neuen ASX auf Basis vom Renault Captur. Für den Herbst ist dann ein Modell angekündigt, das grösser sein wird als der Space Star und auf dem Renault Clio aufbaut. Sie sehen: Wir sind bald wieder in jenem Segment vertreten, in dem früher der Colt äusserst erfolgreich war. Für den Europamarkt noch nicht freigegeben ist der neue Outlander, der kürzlich in den USA vorgestellt wurde. Auf ihn würden wir uns besonders freuen. Wobei ich mir aber durchaus vorstellen kann, dass er für unseren Markt auf dem Renault Koleos aufgebaut sein wird. Luca de Meo will ja seine Werke auslasten, nicht die in den USA.

 

Damit Mitsubishi hierzulande die eigene Wettbewerbsfähigkeit im Markt halten oder ausbauen kann, müssen sich die beiden Neuheiten von den Renault-Schwestermodellen unterscheiden.
Bruno Campino: Völlig richtig. Es wird technische Unterscheidungen geben wie zum Beispiel beim Fahrwerk, das für unsere Modelle sportlicher ausfällt. Ein optisches Merkmal bleibt die spezielle «Dynamic Shield»-Front, die mit ihren C-förmigen Chromspangen jedem Mitsubishi-Gesicht ein markantes Aussehen verleiht.

 

Wie sieht die Strategie bei Elektrofahrzeugen aus? Mit dem i-MiEV hatte Mitsubishi schon 2009 einen Vorreiter, dessen Produktion vor einem Jahr endete.
Bruno Campino: Innerhalb der Allianz wird es etwas geben, davon bin ich überzeugt. Bestätigt ist nichts, aber der Trend zur E-Mobilität ist ja da. Ob die Grösse des Autos dem Renault Zoe oder Nissan Leaf entsprechen wird, das weiss ich momentan nicht. Wobei die Positionierung des Modells auch eine andere sein könnte: Mitsubishi hat in China den vollelektrischen Airtrec auf Basis vom neuen Outlander vorgestellt. Das SUV fährt in der Mittelklasse, hat Allradantrieb und eine Reichweite von 500 Kilometern. Im Laufe von 2022 wissen wir, wie sich Mitsubishi im Markt positionieren wird.

 

Es muss Unterschiede geben, es macht ja wenig Sinn, wenn Mitsubishi wie Renault und Nissan Generalist sein will. Kann die Marke innerhalb der Allianz den sportlichen Allrad-Part übernehmen?
Bruno Campino: Würden wir ähnlich auftreten im Markt, wären wir tatsächlich Konkurrenten, und der Schwung von Mitsubishi würde gestoppt. Die DNA unserer Autos besteht aus Sportlichkeit, Turbomotoren, Rallye-Erfolgen und Allradantrieb. Darauf kann man aufbauen. Ich hoffe, die Allianz sieht das ebenfalls so.



Bruno Campino ist seit April 2021 Managing Director der «MM Automobile Schweiz AG» in Härkingen (SO) und verantwortet in dieser Funktion alle operativen Geschäfte. Er löste Bernd Hoch (56) ab, der nach fast 20-jähriger Führungstätigkeit für die Marke Mitsubishi eine neue Aufgabe innerhalb der Emil Frey-Gruppe übernommen hat. Bruno Campino nahm in den vergangenen Jahren, nach Tätigkeiten bei Nissan Schweiz und in einer Garagengruppe, verschiedene Aufgaben innerhalb der Frey-Gruppe wahr. Vor seinem Amtsantritt als Geschäftsführer verantwortete der Vierzigjährige alle Verkaufs- und Marketingaktivitäten von Mitsubishi Schweiz.

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