Carrosserie- und Fahrzeugbau

Serie: «Vorwärtskommen – Berufsleute mit Biss + Ziel»

Wer in der Carrosseriebranche vorwärtskommen will, hat allerbeste Chancen. Denn hier wird Aus- und Weiterbildung GROSS geschrieben, die Möglichkeiten sind umfassend – egal, ob man sich werkstattseitig nach oben orientieren möchte oder der Plan steht, später einmal einen Betrieb zu führen oder zu übernehmen. Wohin ihr eigener Weg bereits geführt hat oder wohin er noch weisen wird, das erzählen einige Interviewpartner in unserer Serie «Vorwärtskommen».

 

Heute: Florence Aimée Gubler (26), Affoltern am Albis (ZH), Carrosserielackiererin EFZ

 Frau Gubler, Sie sind eine aussergewöhnlich engagierte Berufsfrau. Waren Sie das schon während der Lehre bei der Baumann + Wild AG in Affoltern am Albis? Ich weiss zum Beispiel, dass Sie gerademal zwei Unterrichtstage in vier Lehrjahren verpasst haben.
Florence Gubler: Ja, das war ich. Ich entschied mich für eine handwerkliche Lehre, weil ich etwas mit den Händen erschaffen wollte. Für mich ist es immer sehr schön, dass ich am Abend sehe, was ich tagsüber geleistet habe. Was die Berufsschule angeht, habe ich mich auch stets selbst herausgefordert. Mein Chef hatte eine super Idee: Für jede Note 6 im Zeugnis bekamen wir 100 Franken. Natürlich wollte ich dieses Sackgeld nicht verpassen. Noch wichtiger war allerdings die Vornote für die Lehrabschlussprüfung. Das Ziel war es, in der Berufskunde eine Sechs zu erreichen, um einen gewissen Puffer bei der LAP zu haben. Das hat schon Disziplin und Willen vorausgesetzt.

 

Und? Haben Sie die Höchstnote erreicht?
Florence Gubler: In der Berufskunde gabs tatsächlich die Sechs, in den anderen Fächern keine Note unter einer Fünf.

 

Wann wussten Sie, dass es Ihnen nicht reicht, nur als Berufstätige dabei zu sein, sondern dass Sie es zu etwas bringen möchten als Autolackiererin?
Florence Gubler: Vor der Ausbildung wusste ich das nicht. Zur Lehrzeit war der erfolgreiche Abschluss im Fokus – so wie bei fast allen Lernenden, denke ich. Das Streben nach neuen Herausforderungen und der Entschluss, mich weiterzubilden, kamen nach der Lehre. Für mich war klar, dass ich nicht mit sechzig noch in der Werkstatt stehen möchte.

 

Eine dieser Herausforderungen war 2014 die Teilnahme an den regionalen Berufsmeisterschaften. Warum haben Sie mitgemacht?
Florence Gubler: Da muss ich heute noch schmunzeln. Ich habe während der Lehre Einsatz gezeigt, und Projektarbeit sowie Abschlussprüfung waren hervorragend. Als dann jedoch die Anfrage zur Teilnahme an den regionalen Berufsmeisterschaften kam, wollte ich zuerst nicht. Der Stress der LAP sass mir noch in den Knochen. Dank meines ehemaligen Berufskundelehrers – an dieser Stelle nochmals ein herzliches Dankeschön an Rolf Baumgartner – war ich dann aber soweit. Er hat mich überredet und mit der Anmeldung fast schon «gezwungen».

 

Sie wurden souverän Regionalmeisterin, waren so automatisch für die Schweizermeisterschaft qualifiziert. War es nie ein Thema, den Wettbewerb sausen zu lassen und sich vermehrt dem Freizeitvergnügen zu widmen?
Florence Gubler: Nein, war es nie. Nach dem Regionalmeistertitel war der Ehrgeiz geweckt. Ich wollte es allen zeigen und habe auf die Schweizermeisterschaften hin auch trainiert. Ziel war es, als Frau den Titel zu holen und nach Brasilien an die WM zu reisen. Ich wusste, dass meine Freizeitaktivitäten auf mich warten können. Und dass die Schweizermeisterschaft eine einmalige Sache ist, an der ich unbedingt mein Können beweisen wollte.

 

Apropos Freizeitvergnügen: Neben Sport und Wandern haben Sie eine weitere Leidenschaft – Sie sind eine ausgezeichnete Köchin.
Florence Gubler: Ich würde sagen, das kam aus Geiz (lacht). Was gibt es Besseres als einen Spargel-Risotto mit selbstgemachtem Cordon Bleu dazu? Aber ich bin nicht bereit, dafür im Restaurant über 30 Franken zu bezahlen. Ich freue mich auch darüber, jemanden mit einem feinen Essen glücklich zu machen. Ich koche oft für mich alleine, aber noch viel lieber für Familie und Freunde.

 

Haben Sie sich diese Kunst selber beigebracht?
Florence Gubler: Kochen lernt man natürlich in erster Linie im Elternhaus. Da habe ich das Einmaleins erfahren. Den Rest habe ich von Betty Bossi und meinem Thermomix gelernt. Beim Kochen geht es oft darum, ein Rezept zu lesen und mit eigenen Ideen aufzupeppen.

 

Kommen wir zu den Schweizermeisterschaften zurück. Als Drittplatzierte verfehlten Sie die Teilnahme an der Berufs-WM nur ganz knapp. Wie war das für Sie?
Florence Gubler: Eine riesengrosse Enttäuschung. Ich wollte die Goldmedaille und WM-Teilnahme unbedingt. Doch es hat nicht gereicht. Ich brauchte danach etwas Zeit, um das zu verarbeiten. Auch habe ich mich immer wieder gefragt, weshalb es nicht soweit gekommen ist. Hätte ich mehr trainieren sollen? Wo lagen die Fehler, die Punkte gekostet haben? Was hätte ich besser machen können?

 

Das heisst, Sie waren überzeugt, die WM-Teilnahme verloren und nicht die Bronzemedaille gewonnen zu haben?
Florence Gubler: Das war definitiv so. Zumindest am Anfang. Die Freude kam dann schon. Rückblickend bin ich sehr stolz auf meine Leistung, die Schweizermeisterschaft war eine Lektion fürs Leben. Ich konnte viele Erfahrungen sammeln – Erfahrungen, die ich den Jugendlichen heute weitergeben möchte.

 

Aktuell sind Sie bei der Wesemann AG in Zug angestellt und verantworten die Lehrlingsbetreuung. War das von Anfang der Plan, junge Lernende zu fördern?
Florence Gubler: Ich möchte nicht behaupten, dass dies immer ein Ziel war. In den letzten Jahren habe ich festgestellt, dass ich gut mit Jugendlichen umgehen kann und sehr gerne mit ihnen arbeite. Ein Schlüsselerlebnis dazu ist ein Konfirmandenlager, das ich vor ein paar Jahren mitgeleitet habe. Da entdeckte ich, wie schön es ist, junge Leute zu begeistern und ihnen etwas auf den Lebensweg mitzugeben.

 

Die Konsequenz daraus war, dass Sie Gründungsmitglied vom Champions-Club sind und dort viele freiwillige Aufgaben übernehmen. Mit welchem Ziel?
Florence Gubler: Die Hauptaufgabe vom Champions-Club besteht darin, Jugendliche für die Berufsmeisterschaften zu motivieren. Uns wurde aber sofort klar, dass wir Mangel an Lernenden haben. Um das zu ändern, möchten wir die Branche unterstützen wo wir nur können. Das tun wir aus Leidenschaft, wir wollen von jung zu jung agieren.

 

Darüber hinaus treten Sie an Events auf, stellen unter anderem den Champions-Club an QV-Feiern, Regionalmeisterschaften oder anderen projektbezogenen Anlässen vor. Sie können nicht «Nein!» sagen.
Florence Gubler: Das ist definitiv Leidenschaft. Alles was ich mache, tue ich gerne. Da kann ich gut auch mal «Nein» sagen. Ich versuche, alles unter einen Hut zu bringen – so gut wie es eben geht. Ich bin gerne in verschiedenen Bereichen aktiv und probiere allem gerecht zu werden. Ist das nicht möglich, finde ich eine andere Lösung.

 

2016 haben Sie den Lehrgang «Werkstattkoordinatorin» abgeschlossen. Mit welchem Plan?
Florence Gubler: Ich muss ehrlich gestehen: Ich habe keinen. Vieles im Leben kommt ja dann sowieso anders als man denkt. Ich sage mir bei jeder Weiterbildung: «Komm, mach das. Dann tust Du nichts Blödes». Ich lerne sehr gerne Neues – und bis jetzt hat sich glücklicherweise in meinem Leben alles wie von selbst ergeben.

 

Bei der Weiterbildung legen Sie viel Tempo vor. Gleich anschliessend haben Sie nämlich an der «Berufsschule für Gestaltung» in Zürich den Lehrgang «Berufsbildner Plus» erfolgreich zu Ende gebracht. Was ist das genau?
Florence Gubler: Er ist Teil der Weiterbildung zur Werkstattkoordinatorin. Den Berufsbildner braucht man, um Lehrlinge auszubilden. Für «Berufsbildner Plus» muss man zusätzlich eine Lernsequenz einplanen und sie im Betrieb durchführen. Dort wird man von einem externen Experten bewertet. Der Berufsbildner nützt mir beim Ausbilden der Lernenden.

 

Hat der Lehrgang etwas mit Ihrer aktuellen Nebentätigkeit zu tun? Seit August 2019 sind Sie als Lehrbeauftragte an der «Schule für Gestaltung» tätig.
Florence Gubler: Jede meiner Weiterbildungen hat etwas mit der Nebentätigkeit als Lehrbeauftragte zu tun. Ich unterrichte Berufskunde in den Fächern Physik, Chemie, Mathematik und Form & Farbe. Ich habe mit einem 15-Prozent-Pensum begonnen, seit Februar sind es 35 Prozent. Dieser Gedanke kam im Laufe meiner Weiterbildung. Da habe ich alle meine Dozenten bewundert – wegen ihres Wissens und der Fähigkeit, dies alles zu vermitteln.

 

Was also lag näher, als sich sofort in die nächste Aufgabe zu stürzen?
Florence Gubler: Eigentlich wollte ich den Weg erst später einschlagen. Aber das Schicksal hielt einen anderen Plan für mich bereit: Ich konnte die Klasse eines Lehrers übernehmen, der in Pension ging. Das Unterrichten braucht viel Geduld und Nerven. Jedoch gib es nichts Schöneres, wenn die Schüler verstehen, was man ihnen erklärt. Das macht einfach Freude. Kein Unterrichtstag ist wie der andere. Ich versuche, möglichst genau den Praxisbezug herzustellen. Es ist wichtig, dass junge Menschen erkennen, dass man sie, ihre Probleme und Fragen versteht.

 

2017 bis 2019 haben Sie sich auch noch zur Carrosseriefachfrau und wiederum gleich anschliessend zur Carrosseriewerkstattleiterin ausbilden lassen.
Florence Gubler: Diese Weiterbildungen bieten unzählige Möglichkeiten. Ich zum Beispiel wollte mehr hinter die Kulissen schauen können. Zudem ist die Ausbildung zur Carrosseriefachfrau sehr abwechslungsreich, bietet Einblicke in verschiedene Bereiche. Man setzt sich mit interessanten Themen wie Führungsstil, Kundenwünsche oder Kalkulation auseinander. So lernte ich, weiter und verknüpfter zu denken als ich es bislang als Lackiererin getan hatte.

 

Wo werden wir die Berufsfrau Florence Gubler in fünf Jahren antreffen?
Florence Gubler: Ich weiss es nicht. Momentan arbeite ich sehr gerne in der Lackiererei. Das macht Freude, und ich habe einen super Arbeitgeber. Das Schaffen am Auto, die Lehrlingsausbildung, das Unterrichten – das alles bietet viel Abwechslung. Gut vorstellen kann ich mir die Richtung zur Betriebsleiterin HFP. Diese Weiterbildung vertieft das Wissen und ermöglicht neue Wege.

 

Ein eigener Betrieb – ziehen Sie das in Ihre Überlegungen und Planungen mit ein?
Florence Gubler: Ich plane nicht damit. Aber eins habe ich im Leben gelernt: Man weiss nie, was die Zeit noch bringt. Interessant ist dieser Weg aber mit Sicherheit.

 

Wir kommen zur obligatorischen Schlussfrage: Wenn Sie Schulabgängern erklären müssten, warum er oder sie einen Beruf in der Carrosseriebranche oder eben Lackierer wählen soll – was würden Sie sagen?
Florence Gubler: Zum Beispiel, dass jede Arbeit einzigartig und abwechslungsreich ist. Und eine tolle Herausforderung. Lackieren ist ein viel gefragtes Handwerk. Wer hat heutzutage schon kein Auto? Für diese Lehre braucht man geschickte Hände, aber auch Köpfchen. Es braucht die Freude an Perfektion, und die Geduld, den Weg dazu zu erlernen. Auch würde ich von mir und meinen persönlichen Erfahrungen erzählen. Und davon, dass sich jeder und jede problemlos stetig weiterbilden kann. Daraus ergeben sich viele neue Chancen, die ich mir zu Beginn der Lehrzeit nie hätte vorstellen können. Und ich würde sagen: «Komm, nimm die Herausforderung an. Werde Carrosserielackiererin oder Carrosserielackierer».

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