Carrosserie- und Fahrzeugbau

Es fehlen Fachleute? Berner Carrossier hat diesen Vorschlag

 

Die aktuellen Zahlen vom Bundesamt für Statistik sagen es klipp und klar: Noch nie sind in der Schweiz so viele Lehrverträge aufgelöst worden wie heute. Bei den Lernenden, die ihre Ausbildung im Jahre 2017 begonnen haben, sind es 22,4 Prozent – also beinahe 12 000. Davon betroffen ist auch die Carrosseriebranche: Bei den Fahrzeugschlossern beträgt die Auflösungsquote 17 Prozent, bei den Carrosseriespenglern 34, den Carrosserielackierern fast 43 und den Lackierassistenten 31 Prozent. Für die Chefs und Inhaber eines Betriebes heisst das: Es kommen viel weniger Ausgelernte in den Arbeitsmarkt als erwartet. Also müssen neue Wege beschritten werden. Einer davon führt über die Quereinsteiger. Adrian Bringold, Inhaber und Geschäftsführer der Carrosserie Bringold AG in Ittigen (BE) sowie Präsident von «Carrosserie Suisse Bern Mittelland», hat bereits Erfahrungen mit Quereinsteigern gesammelt und ist überzeugt davon, dass dieses Modell der Rekrutierung tolle Berufsleute hervorbringen kann. Wir haben den Berner zu diesem Thema, welches nicht überall Beifall hervorruft, eingehend befragt.

 

Interview: Heinz Schneider

Herr Bringold, der Branche fehlen Fachkräfte. Um weiterhin ein kompetentes Team zu beschäftigen, heisst eine der Lösungen für Sie «Quereinsteiger». Was erwarten Sie von einem Quereinsteiger?
Adrian Bringold: Das müssen Leute sein, die sich in allererster Linie fürs Handwerk begeistern. Man kann das am neuen Beruf des Carrosseriereparateurs festmachen: Er wird fast ausschliesslich von jungen Menschen gewählt, die schulisch nicht vorne dabei sind, aber viel Geschick beweisen, wenn sie ein Werkzeug in die Hand nehmen. Ich bin überzeugt, dass sowohl der Carrosseriereparateur als auch der Quereinsteiger einen Aufschwung erleben wird. In unseren Berufen ist Handwerken so gefragt wie kaum anderswo – wem das gefällt und wer Talent hat, wird die Carrosseriebranche lieben.

 

Eine bestimmte berufliche Ausbildung ist also nicht zwingend nötig?
Adrian Bringold: Nein, ist es nicht. Gestern hat sich allerdings ein Metallbauschlosser bei uns vorgestellt, der sicherlich einen grossen Vorteil hat, indem er das schulische Fach der Blechbearbeitung kennt – das passt gut. Es gibt aber auch Lastwagenfahrer oder Taxichauffeure, die Freude haben könnten an unseren Berufen und durchaus geeignet sind.

 

Mir hat mal ein Landschaftsgärtner gesagt, wenn er nochmals einen Beruf wählen müsste, würde er die Carrosseriebranche bevorzugen.
Adrian Bringold: Das ist interessant, dass Sie grad den Landwirtschaftsgärtner erwähnen. Ich kenne privat einen, der poliert und bereitet in seiner Freizeit Autos für sich und seine Kollegen auf – und zwar so gut, also ob er nie was anderes gemacht hätte. Der legt von seinem Engagement und von der Freude her ein Niveau hin, welches viele Ausgelernte nicht mitbringen. Und er ist ein gutes Beispiel dafür, dass unser Quereinsteiger-Angebot sowohl für den Arbeitnehmer als auch den Betrieb lohnenswert sein kann.

 

Würden Sie einem Quereinsteiger eine herkömmliche Lehre anbieten?
Adrian Bringold: Wenn er oder sie sich in der Mitte des Berufslebens befindet, wird das kaum möglich sein. Der eine oder andere ist eventuell verheiratet, hat eine Familie – und meist auch eine Lohnvorstellung. Ich kann einem 40 Jahre alten Familienvater nicht einen Lehrlingslohn anbieten. Aber letztlich kommts immer auf dasselbe heraus: Uns fehlen Fachkräfte, also müssen wir bereit sein, in ein Talent zu investieren und ihm mehr zu zahlen als einem Lernenden. Denn im Endeffekt geht es nur um die Leistung.

 

Gilt das Jobangebot in allen Branchenberufen – also für Lackierer, Lackierassistenten, den Carrosseriespengler und Carrosseriereparateur?
Adrian Bringold: Das ist definitiv so. Aber man darf dabei nie vergessen, dass unsere Berufsausbildungen schon ihre Berechtigung haben. Sie können einem Quereinsteiger nicht ein halbes Jahr lang vormachen wie es geht, und dann kann er alles. Ich als Arbeitgeber muss situativ handeln und zusammen mit dem Quereinsteiger ein Arrangement finden mit Arbeiten, die er nach relativ kurzer Einarbeitungszeit gewissenhaft und kompetent erledigen kann.

 

Was sollte so ein Arrangement Ihrer Meinung nach beinhalten?
Adrian Bringold: Das hängt vom Talent und Begeisterungsvermögen des Quereinsteigers ab. Ich bin jedoch überzeugt: Ein geeigneter Kandidat, der in der Spengler- oder Lackierabteilung tätig sein möchte und das entsprechende Geschick mitbringt, kann ein Drittel aller Arbeiten bereits nach einer überschaubaren Einarbeitungszeit gut und selbständig erledigen. Ich finde das schon Mal eine sehr gute Sache. Aber natürlich weiss ich auch, dass die Idee des Quereinsteigers kaum je eine riesige Bewegung sein wird. Aber wenn man das Ganze gut plant, pflegt und publiziert, lässt sich punktuell sehr viel daraus machen.

 

Wie rekrutieren Sie diese angehenden Arbeitnehmer? Mit lokalen Aktionen?
Adrian Bringold: Auch, ja. Aber heute spielt sich viel über die sozialen Medien ab, das kann schon zum Erfolg führen.

 

Ich denke, hinsichtlich Werbung müssen Sie einen Weg finden, auf dem sich jemand direkt angesprochen fühlt!
Adrian Bringold: Genauso ist es. Ich sag jetzt mal: Wenn ein Koch oder jemand aus dem Büro denkt, an Autos zu schaffen würde mir eigentlich auch noch Spass machen, obwohl ich noch nie eine Schraube gedreht habe und auch nicht weiss, was ein Gabelschlüssel ist, dann wird es schwierig. Die Chance ist sehr gross, dass da nichts daraus wird. Für mich sind alle in der Poleposition, die mit einem Werkzeug umgehen können und in der Freizeit gerne schrauben.

 

Was raten Sie einem Berufskollegen, der unschlüssig ist, ob er den richtigen Quereinsteiger für seinen Betrieb tatsächlich gefunden hat?
Adrian Bringold: Im Interesse aller Beteiligten sollte nie ein Schnellschuss gewagt werden. Ich meine, man kann sich bei Probearbeiten bestens kennenlernen. So haben beide Parteien die Möglichkeit, sich zu vergewissern, ob sie auf dem richtigen Weg sind.

 

Sehen Sie eine Alterslimite für den Quereinsteiger oder die Quereinsteigerin?
Adrian Bringold: Absolut nicht. Ich habe 2022 einen Fahrzeugaufbereiter eingestellt, der ist grad sechzig geworden. Ein Top-Mann – wenn weiterhin alles rund läuft, haben wir gemeinsam noch mindestens fünf Jahre vor uns. Das ist ein sehr guter Zeithorizont – wenn ich einen Zweiundzwanzigjährigen einstelle, weiss ich unter Umständen nicht, welche Pläne er hat und was er in einem Jahr machen wird.

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