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    Für Sie gefahren:

    VW Käfer 

    «Ovali» aus dem

    Jahr 1957

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Von Heinz Schneider (Text) und Irene Schneider (Fotos)

Es sind diese Ideen, die man sich im Nachhinein eigentlich selbst nicht mehr erklären kann. Sie kommen aus dem Nichts, setzen sich fest und lassen nicht mehr los. Manche werden am Stammtisch geboren, irgendwo zwischen der vierten und fünften Runde. Unsere brauchte nicht mal ein Bierdeckelkonzept – nur ein nüchternes Redaktionsgespräch und den Blick auf einen sehr schönen 68 Jahre alten VW Käfer, der zwecks Aufnahme in den Oldtimer-Angebotsmarkt von Deutschland in die Schweiz überführt werden musste.

«Warum aber um Himmelswillen sollte so ein gutes Stück per Hänger zu uns kommen? Und nicht auf den eigenen vier Rädern?» Das war die Grundlage für unsere Diskussion. Aber würde der Senior die rund 800 Kilometer lange Strecke von seinem Zuhause in Witten im Ruhrgebiet Richtung Hauptquartier von «carwing» nach Surcuolm auch tatsächlich meistern? Vielleicht sogar an einem einzigen Tag? Und wenn ja, wie würde er sich dabei machen?

Wir wollten es wissen. Also Mittwochabend Swiss-Flug nach Düsseldorf, Nacht im Sheraton-Bett nahe der Landebahn am Flughafen. Donnerstagfrüh ein Taxi, knapp eine Stunde durch den Berufsverkehr nach Witten. Dort stand er – frisch herausgeputzt, als wüsste er, dass er heute nicht einfach bewegt, sondern in Szene gesetzt wird. Lack wie alter Cognac, Chrom wie gefrorene Morgensonne – und eine riesige Portion Würde, die man nur haben kann, wenn man Dutzende Winter überstanden hat, in denen Salz mehr war als nur ein Gewürz. Hinzu kommen 34 Pferdestärken, luftgekühlt, bereit, uns das Tempo von gestern aufzuzwingen. Und obendrein zwei selbstbewusst und treu dreinschauende runde Scheinwerferaugen, die sagen wollen: «800 Kilometer. Ha! Für einen wie mich ist das keine Strecke, sondern ein Ausflug.»

13:00 Uhr: Blick ins Cockpit wie in eine Zeitkapsel. Zündung! Der «Ovali» (seine Anhänger nennen ihn so wegen der ovalen Heckscheibenform, die vier Jahre lang bis 1957 verwendet wurde und ihn so zu einem Stück rollende Kulturgeschichte macht) lässt sein charakteristisches Brabbeln erklingen. Ein kurzer Augenschein auf den weissen Schaltstock, der mehr nach Spaziergang als nach Eile verlangt. Draussen 32 Grad, drinnen ein Hauch von Backofen. Aber Klimaanlage? Lächerlich. Man kurbelt beide Fenster runter, stellt die Dreiecksfenster schräg – fertig ist die mechanische Wellness. Ohne Gebläse, ohne Klimaschnickschnack – nur mit ehrlicher Strömung.

Auf der Autobahn wird dann sofort klar: Wer im «Ovali» fährt, reist nicht einfach – er tritt aus der Zeit. Die Gänge wollen mit Zwischengas überredet werden, das Tempo pendelt sich bei 90 ein, schneller wäre eine Beleidigung für die Mechanik. Benzinuhr gibts keine, dafür etwas Kopfrechnen-Training: Nach jedem Tanken 250 Kilometer addieren – präziser als jedes digitale Display von heute.

Gleichzeitig entfaltet sich ein tolles Phänomen: Wir fahren, und überall gehen die Herzen auf. Menschen hupen, winken, schalten Warnblinker ein, zeigen Daumen hoch. Ein Twingofahrer hängt sich bei Tempo 80 neben uns und formt ein Victory-Zeichen, als hätte er gerade einen alten Freund entdeckt. Ein holländischer Lastwagenfahrer stellt auf der Raststätte seinen Brummi ab, steigt aus und erzählt Geschichten von den Käfern seines Vaters. Und beim Bezahlen der Benzinrechnung sucht der Kassierer schnell mal noch eine Vertretung für fünf Minuten, weil er einen Kurzfilm vom «Ovali» an der Tanksäule machen will.

Um etwa 22:00 Uhr, vor dem Hotel Ochsen in Überlingen, tritt ein Ehepaar an uns heran. Der Mann kramt sein Handy hervor – um erstens ein Foto zu machen und uns zweitens eine Käfer-Reportage aus einem Automagazin zu zeigen, die er wie eine Reliquie gespeichert hat. Derweil organisiert uns Hotelchef Lukas Waldschütz verdankenswerterweise noch ein Zimmer. Ich bin beinahe sicher, er hat das nicht nur wegen uns getan, sondern auch für den «Ovali». Dem verschafft er nämlich auch gleich noch einen Platz direkt vor der Tür.

Damit ist auch schon gesagt, dass wir an diesem Tag nicht bis nach Surcuolm gekommen sind. Nach neun Stunden Fahrt, müden Knochen und einem Scheinwerferlicht, das für Stadtlaternen, aber nicht für Nachtfahrten im Strassenverkehr 2025 reicht, war Schluss.

Am Freitagmorgen, nach einem ausgiebigen Zmorge, rollen wir weiter. Noch etwa drei Stunden Autobahn und Landstrasse, noch ein paar hupende, winkende und staunende Menschen. Der Ovali summt unbeirrt, als wüsste er, dass die Strecke jetzt wieder sein Revier ist. Und als wir kurz vor Mittag im Bündner Oberland einbiegen, scheint er, irgendwo unter dem sonoren Brabbeln des Vierzylinders, zu lächeln – ich meine sogar, das selbstgefällige Kichern eines alten Hasen gehört zu haben, der weiss, dass er es allen nochmals gezeigt hat.