Automobil

Interview: Im Gespräch mit Marcel Guerry (57), Emil Frey Gruppe

 

Süsser die Kassen nie klingeln: Ab 2020 darf ein neuer Personenwagen nur noch 95 statt wie bislang 138 Gramm CO2 pro Kilometer ausstossen. Wer den Grenzwert nicht einhält, wird finanziell abgestraft. Und zwar tüchtig. Wie hoch die Bussen sind, wer sie bezahlt und wie Politiker argumentieren, weiss Marcel Guerry (57), Geschäftsführer Schweiz der Emil Frey Gruppe.

 

Interview: Heinz Schneider

Herr Guerry, für die Alarmisten ist es hinsichtlich Klimawandel nicht fünf vor, sondern bereits fünf nach zwölf. Nüchtern betrachtet: Wo steht der grosse Zeiger ihrer Meinung nach genau?
Marcel Guerry: Ich bin kein Klimaforscher und würde mir deshalb nie anmassen, die hochkomplexe weltweite Klimaveränderung zu beurteilen. Ein grosser Teil der Wissenschaftler warnt, es sei fünf nach zwölf, einige sehen das anders. Ich bin Demokrat und meine, man sollte denen ebenfalls sehr gut zuhören. Vielleicht haben sie noch ein paar andere Ansätze, die es zu beachten gilt.

 

Aber der Globus hat sich erwärmt, das ist eine Tatsache.
Marcel Guerry: Es ist weder Zeit für Hysterie noch Panikmacherei. Wir müssen die Diskussionen sachlich führen. Wenn ich die Schweizer Geschichte zwei oder drei Jahrzehnte zurückdrehe, kommen mir zwei Themen in den Sinn, die von den Medien und Politikern unglaublich hochgespielt worden sind. Das eine ist das Waldsterben. Ich hab mich schlau gemacht und erfahren, dass unser Schweizer Wald seit 1985 deutlich gewachsen ist – um 115 000 Hektaren. Das beweist mir, dass damals mit Horrorszenarien argumentiert worden ist. Aber vielleicht macht man das extra, weil man glaubt, es würde sonst niemand zuhören.

 

Und das zweite Thema? Ich denke, Sie spielen auf die Politik an.
Marcel Guerry: Das tue ich. 1973 sagte der Club of Rome, dass es im Jahr 2004 kein Erdöl mehr geben würde. Wir haben dazumal autofreie Sonntage auf den noch nicht fertig gebauten Autobahnen verordnet bekommen. Wie steht es heute mit der Verfügbarkeit von Erdöl? Das bringt mich nochmals auf Ihre eingangs gestellte Frage: Offensichtlich geschieht seit Millionen von Jahren etwas mit unserem Klima. Wir sollten das jedoch besonnen angehen. Hysterie ist falsch, Sachlichkeit ist angebracht.

 

Hat die Automobilindustrie ihre Hausaufgaben diesbezüglich gemacht?
Marcel Guerry: Das hat sie. Es sind Milliarden investiert worden in Hybridautos, in Plug-in-Hybride und auch in Elektromobile. Wie gesagt, jetzt gilt es, von der Ideologie Abstand zu nehmen.

 

Bis 2020 müssen die Treibhausgas-Emissionen hierzulande gegenüber 1990 um zwanzig Prozent tiefer sein. Gemäss Umweltamt hat die Schweiz bis Ende 2017 nur gut die Hälfte des Weges geschafft. Sind die damals formulierten Forderungen absurd? Oder weltfremd?

Marcel Guerry: Vermutlich ist es in der Politik so, dass man das auf diese Art machen muss, ich weiss es nicht. Ich bin kein Politiker. Aber: Die von ihnen erwähnten zwanzig Prozent beziehen sich auf den gesamten Emissionsausstoss. Ich hingegen beurteile die Automobilbranche. Und da sehe ich, dass die Bevölkerung in der Schweiz seit 1990 um 35 Prozent gewachsen ist. Und es verkehren auf unseren Strassen 22 Prozent mehr Personenwagen, die in der Vergangenheit erst noch schwerer geworden sind. Weil sie zum Beispiel Airbags sowie viele passive und aktive Sicherheitstechnologien an Bord haben. Trotz dieser gegenläufigen Effekte haben wir den CO2-Ausstoss bei den PWs in den letzten Jahren um 20 Prozent reduzieren können. Rechnen sie all das in die gesamte Entwicklung ein, ist das ein gutes Ergebnis. Ob andere Industriezweige ähnlich gute Resultate erzielt haben oder die Schweiz zum Beispiel im Heizungssektor und in der Baubranche Innovatives geleistet hat, das kann ich nicht beurteilen.

 

Ein Personenwagen darf heute im Durchschnitt 138 Gramm CO2 pro Kilometer ausstossen, ab dem nächsten Jahr sind es nur noch 95 Gramm. Das ist ein Riesenschritt, der kaum zu schaffen ist.
Marcel Guerry: In unserem Land beträgt der Flottenverbrauch aufgrund unserer höheren Kaufkraft 138 Gramm, in der EU sind es aktuell 121 Gramm. Beide müssen auf 95 Gramm zurück. Dies entspricht einer Marktverzerrung und das stört mich. Jetzt habe ich in einer Zeitung gelesen, dass man den Schweizern die Kaufkraft austreiben soll. Oder anders gesagt: den Wohlstand. Schweizerinnen und Schweizer haben topografisch bedingt und weil sie es sich leisten können und wollen, immer besser ausgestattete und höher motorisierte Fahrzeuge gekauft. Dies sowie unsere besondere Topographie haben diese 17 Gramm Differenz zur EU ausgemacht. Jetzt will man uns das austreiben – zuerst bei der Mobilität, in einem Jahr dann vielleicht bei der Frage, wie wir zu wohnen haben. Und später wird entschieden, ob wir zweimal oder nur noch einmal pro Woche Fleisch essen dürfen. Als Schweizer stelle ich mir diese Entwicklung als Schreckensszenario vor.

 

Natürlich weiss der Gesetzgeber, dass das Ziel von 95 Gramm unerreichbar ist. Deshalb hat er vorsorglich einen Bussenkatalog für «Sünder» erstellt. Wer bezahlt diese Rechnungen? Der Importeur oder die Kunden?
Marcel Guerry: Die Rechnung für die Sanktionen erhält der Importeur. Da gibts Ende Jahr eine detaillierte Aufstellung über die Immatrikulierungen, und im Jahr darauf ist die Zahlung fällig. Nur: Diese Summe können weder Importeur noch Händler aus ihrer Marge begleichen. Das Geld werden Sie, ich und all die anderen Automobilistinnen und Automobilisten zu bezahlen haben.

 

Das heisst, es wird finanzielle Aufschläge auf die Neuwagenpreise geben?
Marcel Guerry: Das wird die Konsequenz daraus sein, richtig.

 

Wie hoch sind die Bussen?
Marcel Guerry: Ein Gramm über dem Grenzwert von 95 kostet 109 Franken. Das lässt sich also einfach ausrechnen: Zehn Gramm mehr CO2 kosten 1090 Franken, bei zwanzig Gramm – was eigentlich noch gar nicht so verrückt viel ist – sind es 2180 Franken. Wenn wir jetzt die Zahl von 300 000 verkauften Neuwagen pro Jahr in die Aufstellung integrieren, reden wir von astronomischen Summen.

 

Gibt es in der Schweiz eine Marke, welche den Flottenmix von 95 Gramm schon heute erreicht?
Marcel Guerry: Das könnte meines Wissens höchstens Tesla sein.

 

Wie lautet das CO2-Gesetz bei den kleinen Nutzfahrzeugen? Also jenen Autos, in denen täglich Tonnen von Lebensmitteln und andere Güter in Restaurants, Läden und auf Baustellen transportiert werden?
Marcel Guerry: Der Verteilverkehr in den Agglomerationen hat – im Gegensatz zu dem mit schweren Lastwagen – sehr stark zugenommen. Aus dem einfachen Grund, weil nicht jede Ortschaft einen Bahnanschluss hat, über den sich die Waren verteilen lassen. Trotzdem bestraft man Nutzfahrzeugbesitzer ab 2020 mit einem extrem scharfen Grenzwert von 147 Gramm CO2 pro Kilometer.

 

Warum taxieren Sie das als extrem scharf?
Marcel Guerry: Nutzfahrzeuge transportieren viel Gewicht und haben als wichtigen Bestandteil oftmals auch Allradantrieb. Diese Kombination bedeutet einen Mehrverbrauch an Treibstoff. Jetzt können sie einem Kältemonteur oder dem Lieferanten von Kaffeemaschinen natürlich vorschreiben, dass er für die Arbeitseinsätze in Sankt Moritz oder Arosa nur noch das Auto mit dem kleinsten Motor und ohne Allradantrieb benutzen kann, weil der Arbeitgeber den CO2-Ausstoss seiner Fahrzeugflotte reduzieren muss. Ich halte das für einen Irrsinn. Diese Art der Mobilität und die dort verwendeten Autos sind keine Luxusgüter, sondern Werkzeuge für Arbeitnehmer, die ihre tägliche Arbeit effizient und möglichst sicher erledigen möchten.

 

Was halten Sie persönlich vom Hybridauto?
Marcel Guerry: Wir unterscheiden zwischen Plug-in-Hybrid und Hybrid – Autos also, die zum Beispiel Toyota seit 20 zwanzig Jahren anbietet. Diese Technologie funktioniert. Der Plug-in-Hybrid ermöglicht es sogar, noch längere Distanzen rein elektrisch fahren zu können. Das hilft, den Flottenverbrauch weiter zu reduzieren. Allerdings ist davon auszugehen, dass beide Varianten Übergangslösungen sind, da asiatische Hersteller noch einen zweiten Weg gehen – den der Wasserstoff-Technologie.

 

Mit dem Mirai hat Toyota bereits ein Produkt im Angebot, das Kurs in diese Richtung nimmt?
Marcel Guerry: Als Toyota vor Jahren mit der Hybridtechnik gekommen ist, wurde das von vielen ziemlich kritisch beurteilt. Heute ist Hybrid eine Schlüssel-Technologie, um den CO2-Ausstoss zu senken. Ähnliches könnte sich wiederholen: In 15 Jahren sagen wir vielleicht, Wasserstoff ist die Lösung für die Zukunft. Ich vertrete allerdings auch die Meinung, dass wir in den kommenden zwanzig Jahren nach wie vor alle Antriebsarten haben werden, nur in unterschiedlicher Gewichtung. Für die Hersteller wird das aber eine gewaltige Herausforderung sein. Sie müssen parallel weiter entwickeln, gleichzeitig aber spüren, wann sie welche Technologie runterfahren müssen und ab wann es sich nicht mehr lohnt, diese weiter zu produzieren.

 

Bei allen Diskussionen um alternative Antriebsarten sind die Erdgasautos kein Thema. Was ist der Grund dafür?
Marcel Guerry: Ich habe das nicht analysiert. Aber aus der Erfahrung heraus glaube ich, dass die Infrastruktur für Erdgasautos viel zu klein ist. Vielleicht haben die Automobilisten auch zu grossen Respekt davor, mit einem Gastank im Auto in der Gegend herum zu fahren. Wenn Sie dieses Thema jetzt so ansprechen, kommt mir in den Sinn, dass Gas in den Schweizer Haushalten praktisch verschwunden ist. In Italien ist das ganz anders, dort wird fast nur mit Gas gekocht. Es gibt Nationen, die pflegen einen ganz unterschiedlichen Umgang mit Gas.

 

Kommen wir nun zum traditionellen Fahrzeug-Check. Welches Auto war Ihr erstes?
Marcel Guerry: Ein VW Käfer mit Jahrgang 1967 und Sechsvolt-Anlage. Den hab ich als 18 Jahre junger Automechaniker-Lehrling gekauft. Für 250 Franken. Etwa dieselbe Summe floss in Ersatzteile und ins Vorführen auf dem Strassenverkehrsamt. Ich weiss noch, dass ich die Ersatz-Vorderachse auf dem Autoabbruch gefunden habe.

 

Was ist mit ihm passiert?
Marcel Guerry: Er war gut drei Jahre lang im Dienst. Dann ist ihm der Schnauf endgültig ausgegangen. Als Ersatz gab es einen Sunbeam und später einen Opel Rekord Sprint.

 

Welches Traumauto würden Sie sich gönnen, wenn Geld keine Rolle spielt?
Marcel Guerry: Da käme nur ein Jaguar E in Frage. Mit V12-Motor. Das ist für mich das schönste Auto, das je gebaut worden ist.

 

Das heisst, als gelernter Automechaniker würden Sie ihn auch selber herrichten?
Marcel Guerry: Nein, diese Zeiten sind vorbei. Ich stelle mir vor, ihn im perfekten Zustand zu kaufen. Und nur noch reinsitzen und fahren zu wollen.

 

Was ist für Sie die genialste Erfindung in der rund 135-jährigen Geschichte des Automobils?
Marcel Guerry: Ich finde den Spurhalter und den Bremsassistenten für hochkomplexe und unglaublich wertvolle Erfindungen. Ich bin überzeugt davon, dass diese beiden Technologien schon viele schwere Unfälle verhindert haben.

 

Auf welches Komfort- oder Sicherheits-Gadget im Auto könnten Sie locker verzichten?
Marcel Guerry: Ich bin der Meinung, dass die modernen Fahrzeuge von heute keine unnützen Features an Bord haben. Jede Erfindung ist genial und trägt letztlich dazu bei, dass die Unfallzahlen von Jahr zu Jahr sinken.

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