Oldtimer

Leben statt Tod – Mittagspause rettet Oldie vor Schrottpresse

Von Jessica Zimmermann   (Fotos: René Saxer)

Das Schicksal meinte es wahrlich gut mit dem betagten Kleinstwagen «HG.» Denn hätte die Aargauer Alteisen-Entsorgungsstelle an jenem Freitag Mittag im Jahre 2000 nicht pünktlich ihre Tore geschlossen, das kleine Schmuckstück würde heute nicht mehr unter den Blech-Freunden weilen.

 

Also wohin damit? Die Zeit drängt. Schliesslich muss der Lastwagen mit dem «HG» an Bord weiter, ein anderer Auftrag wartet. Da passt es perfekt, dass der Hägglinger Schreinermeister René Saxer auf seinem Gelände noch ein Plätzchen frei hat, auf dem das «Alteisen» parkiert werden kann.

 

Was aber ist ein «HG»? werden Sie sich zu Recht fragen. Antwort: Er ist ein Unikat. Mit einer Lebensgeschichte, die am 26. März 1949 beginnt ̶ also noch vor der Zeit der Kabinenroller wie BMW Isetta, Messerschmitt oder Zündapp Janus.

 

Hans Geissmann aus dem aargauischen Dottikon wollte damals für sich ein Alltagsauto haben. Aber warum sollte er ̶ für damalige Verhältnisse ̶ ein teures Auto kaufen, wenn man selbst einen Zweiplätzer erschaffen kann?

 

Also baute er in seiner Garage in nur knapp 18 Monaten sein eigenes Auto, basierend auf einem Zentral-Rohrchassis mit Federaufhängung, Heckantrieb und Differential. Für den Vorschub diente ein Einzylindermotor der Marke JAP aus dem Jahre 1926 mit 350 Kubikzentimeter, die Kraftübertragung übernahm ein Dreigang-Getriebe aus einem Fiat Topolino.

 

 

Am 20. August 1950 stellte Hans Geissmann seinen «HG» fertig. Und nur kurze Zeit später wurde das Auto mit der Chassisnummer 1 auf das Kennzeichen AG 9148 eingelöst.

 

Glücklicherweise wurde diese Zeit dokumentarisch mit Fotos festgehalten. Denn so unkompliziert wie damals ist es heute nicht mehr, ein Auto einzulösen. René Saxer, der zum «HG» gekommen ist wie die Jungfrau zum Kind, kann ein Lied davon singen.

 

Nach seiner ersten Anfrage beim zuständigen Strassenverkehrsamt kam die ablehnende Antwort nämlich postwendend: «Im Computer steht nichts von diesem Wagen. Und die erste Immatrikulation ist halt auch schon lange her, zumal wir noch einen Wasserschaden im Archiv zu beklagen hatten», beschied man dem Antragsteller. Das heisst konkret: Wer nicht ist, kann unmöglich eingelöst werden.

 

Der Zufall wollte es dann aber, dass René Saxer im Ortsmuseum Dottikon eine Fotografie aus der früheren Zeit des «HG» entdeckte. Er suchte daraufhin die noch lebenden Verwandten des verstorbenen Hans Geissmann auf und bat sie, alle zusammengetragenen Fakten mit ihrer Unterschrift zu bezeugen.

 

Daraufhin knickte das Strassenverkehrsamt ein und lud René Saxer zur Fahrzeugkontrolle. Heute erstrahlt der «HaGschi» ̶ wie er von seinem Besitzer liebevoll genannt wird ̶ im neuen Glanz. An Autotreffs ist der Kleine ein ganz Grosser, der die Auto-Fans über die Micro-Car-Szene hinaus begeistern kann.

 

 

Ein Wermutstropfen allerdings besteht: Der Veteraneneintrag blieb dem Kleinen bis heute verwehrt. Begründung von offizieller Seite: Die Polsterung sieht nicht mehr schön aus, sie hat Risse, und an der Carrosserie hat es Beulen und Dellen.

 

Da bleibt nur zu hoffen, dass bei den «Sachverständigen» bald ein Umdenken stattfindet. Schliesslich erwartet auch niemand, dass unsere Bundesräte und Bundesrätinnen mit faltenfreiem Gesicht auf Reisen gehen. 

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